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Kaputt in El Paso

Kaputt in El Paso

Titel: Kaputt in El Paso Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rick DeMarinis , Frank Nowatzki , Angelika Müller
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fing an zu würgen. Sie trat noch mal zu – und traf mich mit einem Roundhouse Kick am Kopf. Ich hörte Jillian schluchzen. »Nein! Nicht doch!«, sagte sie. »Ich hab euch gesagt, ich will das nicht.«
    Ich sehe immer noch vor mir, wie der Boden auf mich zukam. Ich sehe Clara Howlers Knie Kurs auf meinen Kiefer nehmen. Ich erinnere mich, wie ich auf den Rücken fiel und dann gegen Stuhlbeine rollte. Ich erinnere mich an Lenny Trebeaux’ Ächzen, während er seinen Beitrag in Form von Tritten in meine Nierengegend leistete, als handelte es sich um einen Fußball, sein vor Konzentration verkrampftes Gesicht, als ginge es um ein Elfmeterschießen.
    Und ich erinnere mich, dass Jillians tränenüberströmtes Gesicht über meinem schwebte, danach erinnere ich mich an nichts mehr.

Sechzehn
    Es sah aus, als hätte jemand den durchgängig sandsteinfarbenen Himmel auf die großen Fenster des Suburban gemalt. Ich addierte Meile für Meile, indem ich die Hochspannungsmasten zählte. Als wir jedoch in eine Gegend kamen, die nicht mit Strom versorgt wurde, verlor ich mein einziges Instrument, um eine Berechnung anstellen zu können. Der rotbraune Himmel – keine Vögel, keine Wolken – gab keinerlei Hinweis, ob wir uns überhaupt vorwärts bewegten.
    Ich lag hinten, auf der Ladefläche, nur in Boxershorts und zusammengeschnürt wie ein widerspenstiges Kalb. Die Straße, wenn man sie überhaupt so nennen konnte, war mit Steinen und Schlaglöchern übersät. Bei jedem Holpern schlug mein Kopf auf den Stahlboden der Ladefläche.
    Wie ein glühendes Schrapnell prallte der Schmerz, einem Querschläger gleich, gegen die roten Wände in meinem Schädel. Ständig. Ein paarmal musste ich mich übergeben und es gelang mir, nicht daran zu ersticken. Meine Zunge war verletzt, ich hatte darauf gebissen, als Clara ihr Knie gegen meinen Kiefer gerammt hatte. Der Kiefer war nicht gebrochen. Zwar saßen ein paar Zähne locker, aber ich konnte den Mund ohne Probleme weit aufsperren und wieder schließen. Meine pochenden Hoden fühlten sich an wie Melonen, und Rippen und Nieren taten weh. Die Nachwirkungen von Trebeaux’ Strafstößen.
    Meine Knie und Knöchel waren mit reißfestem Gewebeband umwickelt. Mit demselben Material – ein Material, mit dem man notfalls auch seine Kotflügel befestigen könnte – hatte man mir die Hände auf dem Rücken gefesselt. Die unzureichende Blutzirkulation sorgte dafür, dass es in Händen und Füßen schmerzhaft kribbelte. Und ich schlief immer wieder ein, was für eine Gehirnerschütterung sprach. Ich war noch nie k.o. gegangen, Clara Howler hatte ganze Arbeit geleistet.
    Das Radio wurde laut aufgedreht. Die Narcocorridas hämmerten gegen mein Hirn, mit Songs, die den Drogenhandel feierten. Die Fahrerin – Clara – sang laut mit. Die Narcocorridas machen norteña HipHop, Musik aus dem Norden Mexikos. Die mexikanische Regierung versucht, gegen die Narcocorridas vorzugehen, doch deren Popularität ist zu groß. Selbst in New Mexico werden sie gespielt, ebenso in West Texas und in den tiefsten, yuppiefreien Provinzen Arizonas.
    Me gusta la coca
    Me gusta la mota
    No me ache achi
    Aqui en Sinaloa
    »Na, Cowboy, bist du endlich wach da hinten?«, brüllte Clara.
    »Fick dich«, sagte ich, aber ich wusste, dass sie mich wegen der dröhnenden Musik nicht hören konnte. Meine Stimme knarrte wie ein rostiges Scharnier, da half auch das Salz des hinuntergeschluckten Blutes nichts.
    »Du machst gerade eine kleine Reise, büey. Sozusagen die letzte in deinem sinnlosen Leben, Cowboy. Me gusta la coca, me gusta la mota, no me ache achi, aqui en Sinaloa … «
    Bevor ich wieder wegklappte, ging mir die Frage durch den Kopf, ob wir tatsächlich in Sinaloa waren. Eher unwahrscheinlich, nicht mit diesem Sandsturm, nicht mit diesem Himmel, aus dem es Grieß zu regnen schien.
    Ich stolperte von einem Traum in den nächsten, wachte auf und schlief wieder ein. In einem Traum sah ich mich als Baby im Buggy, nur passte ich nicht hinein. Meine Füße hingen draußen und mein Kopf ragte über die Rückenlehne, doch Mama, die auf Spanisch sang, scherte sich einen Dreck darum.
    Mama war nicht Maggie. Mama war eine blonde Amazone mit kurz geschnittenem Haar. Dieser Traum war so plastisch wie die Wirklichkeit selbst. Ich in einer Schubkarre, in einer großen, in einer für Bauarbeiter, mit dem Kopf über dem Vorderrad, die Beine hingen über dem anderen Ende. So realistisch. Ich fuhr mir mit der Zunge über die Zähne und der

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