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Kaputt in El Paso

Kaputt in El Paso

Titel: Kaputt in El Paso Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rick DeMarinis , Frank Nowatzki , Angelika Müller
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Schmerz war noch da.
    Clara Howler schleifte mich über raue Bodenplatten. Über mir, im grauen Dunst, hing der Fixstern wie ein blutroter Knoten. Der Wind fuhr durch Claras blonden Männerhaarschnitt. Sie trug eine Sonnenbrille und biss die Zähne zusammen.
    »Du hast ein ganz schönes Gewicht, Walkinghorse«, sagte sie. »Wir werden dich wohl auf Diät setzen, dich mit mexikanischem Slim Fast füttern.«
    Sie wischte sich den Schweiß von der Stirn und zerrte mich weiter. Irgendwo bellte ein Hund. Ein Mann sagte etwas auf Spanisch. Eine Frau antwortete und der Mann lachte. Wir waren irgendwo in der Wüste. Keinesfalls in Sinaloa, vermutlich aber in Mexiko. Andererseits hätte es überall in der Chihuahua-Wüste sein können, schließlich umfasste sie Teile von West Texas und New Mexico.
    »Ayúdame, Rigoberto. ¿Dónde éstan Rudy y Luis?«, fragte Clara Howler.
    »Fueron al pueblo. Die Hahnenkämpfe, señorita.«
    »Diese Scheißviecher«, sagte sie. »Werden die beiden heute Nacht zurückkommen?«
    Rigoberto lachte. »Ni con mucho«, sagte er. Keine Chance.
    Rigoberto war ein kleiner, mit Narben übersäter Mann. Er und Clara schleppten mich in ein winziges Haus aus Lehmziegeln, das inmitten einer Anlage ähnlicher Häuser stand, und ließen mich auf ein Feldbett fallen.
    Ich hörte eine Holzlatte knacken. Clara verließ die Hütte, um kurz darauf zurückzukommen, eine Sporttasche in der Hand. Sie holte ein Kästchen mit einem Spritzbesteck aus der Tasche und eine Ampulle, zog die Spritze auf und injizierte mir ziemlich unsanft den Inhalt der Ampulle. »Gegen die Schmerzen, Walkinghorse. Es ist die Woche der Tierliebe.« Es musste sich um Morphium gehandelt haben, so wie mich das Zeug wegdriften ließ, weg von Schmerz und Realität, was in meinem Fall ein und dasselbe war.
    »Träume süß«, sagte Clara Howler.
    Als ich wieder wach wurde, lag ich nicht mehr auf dem Feldbett. Ein Fußeisen mit einer drei Meter langen Kette verankerte mich in der Wand. Die Kette war an einem Eisenring befestigt, der zwischen zwei Ziegelsteinen eingemauert war. Eine kürzere Kette, ungefähr einen halben Meter lang, verband meine Knöchel miteinander. Die dünne Matratze lag direkt auf den roten Saltillo-Fliesen des Bodens. Am Fußende sah ich eine akkurat zusammengelegte Armeedecke. Äußerst umsichtig hatte man einen Nachttopf innerhalb des Radius meiner Kette platziert.
    Ich berührte mein Gesicht. Ich hatte einen Zweitagebart. Neben der Matratze stand ein Tonkrug mit Wasser. Kein Essen. Clara fand offenbar Gefallen an ihren Scherzen. Unter mexikanischem Slim Fast verstand sie das hiesige Wasser.
    Es war später Nachmittag. Der Wind hatte sich gelegt. Begleitet vom fröhlichen Geklapper meiner Kette, kroch ich hinüber zum Fenster. Draußen war nichts außer den anderen Ziegelhäusern der Anlage und dahinter die Wüste. An den Kanten der Häuser hatte sich jemand in Landschaftsgestaltung versucht – Spanischer Dolch, Feigenkaktus, Ocotillo und die langen, empfindlichen Halme des Pampagrases. Die Häuser waren hufeisenförmig angeordnet und umschlossen einen gefliesten Innenhof. Knapp hundert Meter entfernt, am offenen Ende des Hufeisens, flappte ein weißer Lumpen an der Spitze einer langen, vom Wind durchgebogenen Bambusstange.
    Das Fenster ging nach Süden, der Horizont schien weit. Das, was ich sah, gab mir keinerlei Aufschluss darüber, wo ich mich befand. Es hätte überall und nirgends sein können. Ich konnte weder den Suburban ausmachen noch Clara oder die Männer, die für sie arbeiteten. Nichts von alldem. Den Rest des Nachmittags verbrachte ich mit dem vergeblichen Bemühen, die Kette aus der Wand zu reißen. Der Ring, mit dem sie verbunden war, hatte einen dicken Metallstift, der wahrscheinlich die gesamte Mauer durchdrang und an der Außenwand mit einem Flansch versehen war.
    Der Ring befand sich ungefähr sechzig Zentimeter über dem Boden. Ich legte mich auf den Rücken, stemmte beide Füße gegen die Ziegelmauer und zog an der Kette. Ich hatte keine Kraft. Die Muskeln meiner Oberschenkel fühlten sich an wie Schaumgummi, als bestünde ihre einzige Funktion darin, meine Knochen zusammenzuhalten. Sie hatten keinen hinreichenden Tonus, keine explosive Stärke. Doch selbst wenn ich hundertachtzig bis zweihundert Kilo Druck auf die Kette hätte ausüben können, wäre das nicht genug gewesen. Für diesen Job hätte man vermutlich drei oder vier Tonnen gebraucht. Durch die Anstrengung bekam ich hämmernde

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