Karambolage
zu beruhigen. »Gleich. Der Mann stolperte vor Ihr Auto, sagen Sie?«
»Mehr oder weniger, ja. Es passierte alles so rasch. Er tauchte direkt vor meinem Wagen auf, fiel nach hinten, und schon war es geschehen.«
»Überlegen Sie jetzt bitte gut: Könnte es sein, dass er gestoßen wurde?«
»Möglich, vielleicht. Was weiß ich? Das läuft alles in Bruchteilen von Sekunden ab, und man soll dann noch genau beschreiben, wie es war. Das ist doch unmöglich. Wer sind denn Sie überhaupt?«
Leopold rückte, unbeeindruckt vom Regen und seinem neugierigen Gegenüber, sein Mascherl zurecht. »Ich bin der Ober von dem Kaffeehaus da an der Ecke«, gab er herablassend Auskunft. »Den Pumperer [11] hat man bis zu uns hinein ins Lokal gehört. Da musste ich doch nachschauen, was los ist.«
»Ach so, ja, ja. Aber helfen Sie mir lieber, und stellen Sie keine so komischen Fragen.«
»Wieso?«, lächelte Leopold in die Dunkelheit. »Gerade dadurch helfe ich Ihnen. Wenn die Polizei kommt, werden Ihnen die Beamten dieselben Fragen stellen, nur noch präziser und intensiver. Wir müssen vorbereitet sein. Und ein wesentlicher Aspekt wird sein, ob Sie den Unfall verhindern hätten können. Die werden genau wissen wollen, ob er gestolpert ist, und warum Sie dann nicht rechtzeitig angehalten haben, oder ob man ihm tatsächlich einen Stoß versetzt hat, was ungleich schneller abgelaufen wäre.«
»Sie könnten recht haben. Aber wer tut so etwas?«
»Das ist im Augenblick unerheblich. Immerhin ist es genauso möglich, wie dass er in Ihr Auto getaumelt ist, darum sollten wir es nicht außer Acht lassen.«
Leopold blickte rasch zu Fellner hinunter. Noch war es ruhig, aber es war nur eine Frage der Zeit, bis irgendwelche Nachtschwärmer, Autofahrer oder neugierigen Kaffeehausgäste zum Unfallort kommen würden. Jedes Detail, das für einen gewaltsamen Tod sprach, war von größter Wichtigkeit. Leider war es zu dunkel, um nennenswerte Einzelheiten erkennen zu können.
Neben der Leiche lag ein Schlüsselbund, der offensichtlich aus Fellners Jackentasche gefallen war; daneben befand sich ein kleines, weißes Etwas aus Papier.
»Normalerweise fahre ich nie diese Strecke«, jammerte der unglückliche Lenker. »Und jetzt passiert mir das! Ich könnte mich in den Hintern beißen.«
»Schicksal«, säuselte Leopold, während er versuchte, das weiße Papierstück möglichst unauffällig mit einer Pinzette in einer kleinen Plastiktüte unterzubringen, die er beide für ebensolche Zwecke stets bei sich trug. »Jedenfalls glaube ich, dass wir Sie aus dieser Sache hier noch einmal herausholen können.«
»Na hoffentlich. Aber sagen Sie, wen meinen Sie mit ›wir‹?«
Leopold blieb keine Zeit zu überprüfen, was für ein Beweisstück er da an sich genommen hatte. Gefühlsmäßig war es eine von einem Computer ausgestellte Eintrittskarte fürs Theater, Kino, ein Konzert oder eine sonstige Veranstaltung. Man würde sehen.
»Wen ich mit ›wir‹ meine?«, fragte er gedankenverloren. »Mich natürlich. Und meinen Freund, Oberinspektor Juricek von der Mordkommission.«
*
Der Stromausfall und das schlechte Wetter hatten dafür gesorgt, dass sich einstweilen noch kaum ein Schaulustiger auf die Straße verirrte, sondern man vom Kaffeehaus aus die Vorgänge draußen beobachtete und auf das Eintreffen der Polizei wartete. Wie Fratzen aus einem diabolischen Satyrspiel klebten die Gesichter an den großen Fenstern und starrten hinaus in die Dunkelheit. Man wusste mittlerweile, dass es einen Toten gab und dass es sich um Fellner handelte. Das beruhigte die Leute.
Die Kommentare gingen natürlich auseinander, die Trauer um Fellners Hinscheiden hielt sich allerdings in Grenzen. Und Leopolds Bemühen um eine erste rasche Klärung der Sachlage wurde vor allem von Frau Heller nicht goutiert. Sie schüttelte nur den Kopf, während sie den Rauch aus ihrer Zigarette inhalierte und ein paar Schlucke vom Rotwein nahm: »Wie kann man sich um einen Toten kümmern und die Gäste im Kaffeehaus verdursten lassen? Eine Leiche trinkt doch nichts mehr.«
Korber stand noch immer an der Theke und bereute mittlerweile, dass er nicht zusammen mit Maria und Ingrid gegangen war, sondern sich wieder einmal von einer seiner Stimmungen hatte leiten lassen. Das hatte er nun davon! Finster war’s, ein übel riechender Bursche war die längste Zeit neben ihm gestanden, mittlerweile allerdings Gott sei Dank gegangen, auf der Straße lag eine Leiche, und Leopold war schon
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