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Karambolage

Karambolage

Titel: Karambolage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Bauer
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Partie?«, fragte Sedlacek beinahe flehend.
    »Die letzte«, sagte Herr Heller mit einem Blick auf die Uhr.
    Da öffnete sich noch einmal die Tür. Ein später Gast. Langsam, behutsam einen Fuß vor den anderen setzend wie ein Greis, der er aber noch nicht war, betrat Erwin Seidl das Lokal. Er hustete kurz und laut, offenbar aus Anstrengung. Der kleine Ausflug schien ihn herzunehmen. Ungeschickt plumpste er in einen Sessel.
    »Horch, was kommt von draußen rein«, säuselte Leopold. »Haben Euer Gnaden noch einen Wunsch? Wir schließen nämlich bald.«
    »Jetzt schon? An einem Samstag?«, keuchte Seidl. »Ist mir neu. Also ein Glas Rotwein bitte.«
    »Du hast dich ja jahrelang nicht anschauen lassen, da kannst du nicht auf dem Laufenden sein. Was verschafft uns denn die Ehre?«
    Seidl lächelte. »Ich wollte schon lange wieder einmal unter Menschen. Wochenlang bin ich nur zu Hause herumgesessen und habe mich mit meinem Sohn gezankt, weil er ständig den Arbeitsplatz wechselt und dazwischen den ganzen Tag mit nichtsnutzigen Dingen verbringt. Aber heute war er ausnehmend freundlich. Es wird alles besser, hat er gemeint, er habe etwas in Aussicht, wo es einiges Geld zu holen gebe. Dann hat er mir 20 Euro in die Hand gedrückt und gesagt, ich solle mir einen schönen Tag machen, ein bisschen fortgehen. Tja, und das habe ich dann auch getan.«
    »Und da hast du dich wieder einmal an uns erinnert«, bemerkte Leopold, während der das Rotweinglas abstellte.
    »Sozusagen. Ich bin ja schon eine hübsche Zeit lang unterwegs. Zuerst war ich vorne am Schlingermarkt, dann beim Bahnhof. Ich kann kaum mehr gehen.« Seidl suchte den Aschenbecher und nahm dann eine Packung Zigaretten heraus. Umständlich fingerte er nach einem Glimmstängel. Dabei atmete er schwer. Einige Augenblicke lang hörte man nur dieses schwere Atmen und das Aufsetzen der Figuren auf dem Schachbrett.
    »Heute war schon ein ziemlicher Griss um dich [19] «, setzte Leopold schließlich die zähe Unterhaltung fort.
    »Ach so?«, fragte Seidl erstaunt.
    »Ja, weil sich offenbar herumgesprochen hat, dass du den Mord an Fellner beobachtet hast. Da meinen einige Herrschaften, du hast der Polizei nicht die ganze Wahrheit gesagt, du hast den Täter doch erkannt.«
    Seidl zuckte zusammen. »Weshalb … soll ich den Täter erkannt haben? Du weißt, es war stockfinster, und geregnet hat es auch.«
    »Manchmal erkennt man einen Menschen eben doch, an der Gestalt, am Gang. Oder hast du vielleicht kurz seine Stimme gehört?«
    »Ich habe der Polizei alles gesagt, was ich weiß. Heute Vormittag waren sie schon wieder da, so ein unleidlicher Inspektor. Hat mich ganz krank im Kopf gemacht. Und zu Eduard war er richtig böse, weil er gestottert hat.«
    »Na ja, ich wollte dich nur warnen. Grad vorhin haben sie uns besucht, Olga Fellner, ihr neuer Freund und Egon Sykora. Ich glaube, mit denen ist nicht gut Kirschen essen. Gib demnächst acht, wem du die Türe aufmachst. Ich habe mir schon richtig Sorgen gemacht, weil ich dachte, sie würden gleich zu dir hinauflaufen.«
    »Das ist lieb von dir, Leopold. Aber um mich braucht sich niemand mehr Sorgen zu machen. Das ist verlorene Liebesmühe«, sagte Seidl mit müdem Blick.
    Außer Seidl und Sedlacek waren mittlerweile alle Gäste gegangen. Und bei Sedlacek stand das neuerliche Matt unmittelbar bevor. »Pass halt auf dich auf«, sagte Leopold. »Und trink bitte aus. Wir schließen jetzt gleich.«
    Seidl grummelte etwas in sich hinein und nahm einen Schluck vom Rotwein. Man konnte ihm ansehen, dass er noch gerne länger geblieben wäre, sei’s weil er es genoss, sein Gefängnis verlassen zu haben, sei’s wegen seiner körperlichen Befindlichkeit. Aber Leopold war unerbittlich: »Sperrstunde, Herr Seidl, bitte schön.«
    »Schach und Matt«, kam es vom Haustisch.
    Seidl erhob sich langsam und zahlte. Er stand etwas unsicher da. Die Beine schmerzten, und die Luft ging noch immer schwer durch seine Bronchien. Leopold hatte Mitleid. »Warte kurz«, sagte er. »Ich ziehe mich nur rasch um, dann bringe ich dich nach Hause, Erwin.«
    Es war ein alter Reflex. Leopold machte sich Sorgen um die Menschen, die er kannte, auch wenn er ihnen nur mehr selten begegnete. Früher, vor dem Tod seiner Frau, hatte Erwin Seidl zu den Stammgästen gezählt, die das Kaffeehaus mit Leben gefüllt hatten. Dann hatte er zu kränkeln begonnen und sich immer mehr in seine eigene Wohnung zurückgezogen. Und jetzt? Ein Schatten vergangener Tage, frühzeitig

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