Karaoke
Zeichentrickfilm Nussknacker mitmachen und treten regelmäßig in großen Stadien auf. Das war nicht immer so. Am Anfang gab es mit Rammstein Probleme, weil viele Randgruppen die Band missverstanden und in den jungen Musikern ihre Glaubensbrüder zu erkennen meinten. Die russischen Skinheads hielten sie für Nazis und freuten sich, dass endlich die NazirockWelle auch Russland erreicht hatte. Die Yuppies hielten Rammstein für eine abgefahrene schwule Boygroup, die Punks hielten sie für eine Anarchoband aus der ehemaligen DDR, und die Anhänger des Bodybuilding hielten die Musiker für deutsche Schönheitsikonen.
Wenn alle diese unterschiedlichen Gruppen gleichzeitig ein RammsteinKonzert besuchten, fing sofort ein aktiver Meinungsaustausch darüber an, wer die wahren Fans von Rammstein waren und wer sich nur hierher verirrt hatte. Viele Knöpfe wurden von Mänteln abgerissen, Unbeteiligte krankenhausreif geschlagen, Busse umgekippt, Haltestellen angezündet und Kulturhäuser verwüstet. Einige Konzerte wurden schon im
Vorfeld von der Stadtverwaltung verboten. In mehreren Interviews hatte der Sänger der Gruppe, Till Lindemann, betont, dass ihn Politik, Gewalt und Homosexualität eigentlich nicht interessieren und dass Rammstein möglichst breite Schichten der Bevölkerung ansprechen wolle, denn in ihren Liedern gehe es um allgemein menschliche Werte, um etwas, das jedem — ob Homo oder Nazi oder sonst was — teuer und wichtig sein müsse: nämlich um Glaube, Liebe, Hoffnung und den Tod. Irgendwann beruhigten sich die Gemüter in Russland — und die verschiedenen Randgruppen mussten sich Rammstein mit dem Rest der Bevölkerung teilen. Die Band wurde zu einem russischen Popidol. Die unterschiedlichsten Menschen fanden auf Rammstein-Konzerten zueinander und sangen alle zusammen im Chor: »Bestrafe mich, bestrafe mich, du darfst mein Bestrafer sein, ja, ja, ja.«
Durch den Aufstieg von Rammstein wurde das Image der Deutschen in Russland stark verbessert. »Nicht alle Deutschen sind Nazis! Einige können sogar gute Lieder schreiben« — das war die Botschaft, die mit Rammstein rüberkam. Gleichzeitig stellten viele fest, dass die verfluchte und für sehr kompliziert gehaltene deutsche Sprache gar nicht so schwer ist. Seit Rammstein permanent im russischen Radio und Fernsehen zu hören und zu sehen ist, können plötzlich alle Russen ein wenig Deutsch. »Töte mich und iss mein Herz«, summen sie morgens auf dem Weg zur Arbeit. Die Texte sind klar und emotional und leicht nachzusingen. »Eins — hier kommt die Sonne, zwei — hier kommt die Sonne, drei, vier, fünf, sechs...« — so etwas kann sich jeder merken. Und weil Fremdsprachenkenntnisse heute in Russland zu den großen Tugenden zählen und die Sprachschulen voll sind, wurden die Rammstein-Texte auch sofort in deren Lehrstoff einbezogen. Ein russischer Verlag hat in seiner Lehrbuchreihe Deutsch lernen leicht gemacht sogar einen Textband herausgegeben mit dem Titel: »Rammstein — Lieder für den Deutschunterricht«. Das Buch wurde nicht nur bei den Rammstein-Fans ein großer Erfolg. An vielen Sprachschulen wird die Rammstein'sche Poesie als ideales Lehrmaterial für Anfänger benutzt, weil (laut Vorwort) schon ein Wortschatz von fünfhundert Wörtern ausreicht, um sie zu verstehen. Das Lehrbuch fängt mit dem einfachsten Lied an: »Rammstein — Die Sonne scheint«, und endet mit dem kompliziertesten Text, den man am besten auswendig lernt: »Leg mir die Ketten an, der Schmerz ist schön wie nie,
ich gehe auf die Knie...« Das Buch ist dünn, achtundvierzig Seiten in fetter Schrift, doch wer es durch hat, kann Deutsch. Daran besteht kein Zweifel. Er kann dann nach Deutschland fahren, hier in jeden Laden gehen und die Verkäuferinnen fragen: »Wollt ihr das Blut vom Degen lecken? Wollt ihr den Dolch ins Laken stecken?« — und jede wird ihn verstehen.
Im Grunde genommen könnten wir bei unseren Veranstaltungen Rammstein als russische Band vorstellen. Das tun wir aber nicht, um das deutsche Publikum nicht zu verwirren. Sie sind oft auch ohne Rammstein verwirrt genug, weil unser Programm den deutschen Vorstellungen von russischer Musik nicht entspricht. Fast jedes Mal, wenn wir Russendisko haben, drängt sich einer aus dem Publikum zum DJ-Pult und fragt nach »Kalinka Malinka«.
»Was soll denn das sein?«, fragt der DJ zurück.
»Wie — was? Das ist doch das Russenlied überhaupt!«, empört sich jedes Mal der Gast und droht mit Maßnahmen. Sein Bild
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