Karibik all inclusive: Ein Mira-Valensky-Krimi
in den letzten Tagen, Thomas borgt mir seine zweite Schwimmbrille. Wir werfen uns gegen die Wogen, es gischtet, brodelt, die Kraft des Wassers zieht mir den Boden unter den Füßen weg. Dann haben wir die Brandung überwunden und schwimmen die Küste entlang: Thomas mit regelmäßigen Kraultempi, ich mit kräftigen Brustzügen. Er passt sich meiner Geschwindigkeit an. Wir reden nicht, das Meer redet mit uns, durch die Schwimmbrille sehe ich ein Unzahl von bunten Fischen, die ich sonst nur aus dem Aquarium kenne. Große blaue mit einem gelben Fleck auf der Stirn, knallgelb und schwarz getigerte, einen Schwarm Tintenfische, kleine rote mit einem grünen Schwanz. Thomas deutet nach unten. Neben dem Riff liegt eine Decke. Ein Rochen, sicher zwei Meter groß. Ich hätte ihn wohl übersehen, er lässt sich vom bewegten Sand am Meeresboden zustauben. Die großen, runden Kinderaugen aber hat er nach oben gedreht. Er beobachtet uns interessiert und ohne Furcht. Ich strahle Thomas an, und seit langem sehe ich ihn wieder lächeln.
„Man sollte mit den Köchen reden“, sage ich zu Bata und Vesna.
„Wo ist das Problem?“, fragt Bata zurück. „Da kann Michel auch einmal etwas tun. Von Koch zu Koch, meine Süße, ist doch bestens.“
Ich schüttle den Kopf. „Er kann nur Französisch, und ob es ein Dolmetsch bringt …“
Bata schickt eines ihrer Serviermädchen, um Michel zu holen.
Er wischt sich die Hände an der Schürze ab. „Die pikante Haifischsuppe kommt gleich. Sie ist vielleicht etwas scharf geworden, aber dafür mit Kokosrum …“ Er schnalzt mit der Zunge.
Wenn er über das Essen spricht, verstehe ich Michels Französisch inzwischen ziemlich gut.
Aber als Bata auf ihn einredet, ist es mit meinen Sprachkenntnissen wieder so gut wie vorbei. „Pleasures“ verstehe ich bloß und „Koch“. Michel nickt mehrere Male heftig und antwortet. Langsam sagt er dann in meine Richtung: „Ich kann mit einem Koch von drüben reden, er hat einige Jahre bei uns gearbeitet.“ Damit eilt er wieder zu seiner Haifischsuppe zurück.
Bata sieht zufrieden drein. „Ich wollte nur das Einverständnis meines Chéri, Sinhap hat einige Jahre bei uns gekocht, Michel hat ihn nicht gerne gehen lassen, aber Sinhap hat Familie, und die Arbeitszeiten bei uns sind nicht so klar definierbar wie im Pleasures, sie arbeiten im Schichtbetrieb. Wir waren Sinhap nicht böse. Ich habe ihn vor kurzem in der Stadt getroffen, er hat gemeint, dass Michel schon um Klassen besser kocht als ihr Küchenchef. Michel hat Sinhap viel beigebracht.“
„Die Haifischsuppe …“, schwärme ich Michel an, als er nach dem Abendessengeschäft zu uns auf die Terrasse kommt. Er ist bereits umgezogen.
„Oui“, nickt er befriedigt. „Und jetzt treffe ich mich mit Sinhap bei ihm zu Hause. Er wohnt im Nachbardorf, seine Frau hat schon wieder ein Kind bekommen. Die Inder sterben so schnell nicht aus. Er scheint etwas erzählen zu wollen, aber was weiß man …“
Bata übersetzt, doch diesmal hab ich beinahe alles verstanden.
„Die Haifischsuppe“, wiederhole ich. Üblicherweise lässt Michel sich nicht so lang um ein Rezept bitten. Hätte ich bloß die Möglichkeit, hier selbst zu kochen. Mit all den Früchten und Fischen und Gewürzen …
Michel hat es heute eilig. „Fischfond kochen, also: Gräten und Kopf und Reste, halb Wasser, halb Weißwein aufgießen, Pfeffer, ganz wenig Salz, Neugewürz, Thymian, eine Tomate, eine Karotte, etwas gelben Kürbis, Jungzwiebel. Nach einer Viertelstunde abseihen, noch einmal aufkochen. Frischen Ingwer ganz fein hacken, Haifischfleisch in kleine Würfel schneiden, Kürbis in winzige Würfel schneiden, alles mit etwas Hot Sauce in den kochenden Fond, drei Minuten ziehen lassen, einen Spritzer Kokosrum dazu – servieren. Voilà. Ich muss fahren. Geht auch mit anderem Fisch.“
Am nächsten Morgen erwache ich bei Sonnenaufgang. Von einer Minute auf die andere geht das Nachtkonzert in das Tageskonzert über: Die Baumfrösche und Grillen verstummen, die Vögel fangen an zu singen, zu kreischen. Von irgendwoher höre ich eine Kuh, wahrscheinlich steht sie mitten auf der Straße und hält den Frühverkehr auf. Heute geht die Sonne ohne dramatische Farbeffekte auf, ruhig, der Himmel ist hell und klar. Ein strahlender Tag kündigt sich an. Das Meer ist über Nacht ruhig geworden, fast wirkt das Wasser so, als könnte man darauf gehen. Aus dem Schlafzimmerfenster sehe ich hinunter zum Golden Sand. Michel trägt Abfall zur
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