Karin Schaeffer 03 - Die stumme Zeugin
übersehen.« Eddie drehte die Hand und warf einen Blick auf seine Armbanduhr. »Ich muss los.«
Wir standen auf und schüttelten Eddie die Hand.
Mac nahm eine Visitenkarte aus seiner Brieftasche und gab sie ihm. »Rufen Sie mich an, falls Ihnen noch etwas einfällt. Und könnten Sie mir eventuell auch Ihre Nummer geben?«
Eddie diktierte Mac seine Handynummer, die er gleich in seinem BlackBerry speicherte. »Falls er es war, falls er das getan hat, sage ich gegen ihn aus. Egal, was am Ende dabei rauskommt.«
Mac blieb stehen, während ich mich wieder setzte. Wir schauten Eddie Walczak hinterher, der mit hochgezogenen Schultern in die Kälte trat, die Straße überquerte und aus unserem Blickfeld verschwand.
* * *
In der Abenddämmerung schlenderten wir zum Haus der Espositos in der President Street. Eddie hatte beileibe nicht übertrieben: Man konnte das kleine Backsteinhaus mit den bunt blinkenden Lichterketten in dem ruhigen Straßenblock tatsächlich nicht übersehen.
»Man kann es auch übertreiben.« Mit Mac im Schlepptau stieg ich die Vordertreppe hoch.
Auf mein Läuten hin ertönte ein mehrstimmiger Chor, der in einer Endlosschleife We wish you a Merry Christmas schmetterte.
»Du liebe Zeit, es ist nach Neujahr«, murmelte ich.
»Anscheinend möchten die Espositos nicht, dass die Weihnachtsfeiertage enden.« Mac bedachte mich mit einem schiefen Lächeln, als ein stämmiger Mann mit schütterem grauem Haar die Tür öffnete.
»Sind Sie Mr. Esposito?« Ich zog einen Handschuh aus und reichte ihm die Hand zum Gruß.
»Ja.« Er steckte beide Hände in die Hosentaschen. »Wie kann ich Ihnen helfen?«
Wir stellten uns zuerst als Nachbarn und dann als private Ermittler vor, woraufhin sich seine gerade noch freundliche Miene prompt verdüsterte.
»Was wollen Sie von mir?«
»Wir würden gern mit Joey, Ihrem Sohn, sprechen.« Ich lächelte freundlich. »Ist er daheim?«
»Joey hat sich nichts zuschulden kommen lassen.«
Wir erläuterten, dass wir uns für den fünf Jahre zurückliegenden Vorfall interessierten, der ad acta gelegt worden war, und erfahren wollten, was es damit auf sich hatte.
»Diese Büchse der Pandora machen wir ganz bestimmt nicht noch mal auf.« Er war schon im Begriff, die Tür zu schließen, als hinter ihm jemand auf der Treppe auftauchte.
»Papa?«
»Geh nach oben, Joey.«
Durch den schmalen Türspalt erhaschte ich einen Blick auf Joey Esposito. Eddies Beschreibung erwies sich als zutreffend: Mit den schulterlangen blonden Haaren sah er aus wie ein sehr hübsches Mädchen. Es war schwer vorstellbar, dass er und sein Vater verwandt waren. Joey war beträchtlich größer und schlanker als sein alter Herr.
»Diese Bullen wollen über ... du weißt schon, was ... reden«, knurrte Mr. Esposito und zog die Tür noch einmal auf. »Über diesen ganzen Mist. Hören Sie: Da ist nichts passiert. Diese Walczak-Burschen waren richtige Unruhestifter. Wollen Sie erfahren, was tatsächlich geschehen ist? Willy Walczaks Freundin Kim hat mit meinem Sohn Johnny rumgemacht, und da haben die Walczaks sich eine Geschichte einfallen lassen, um uns fertigzumachen.« Er schlug einmal mit der Faust auf seine Brust. »Hat Joey es nicht schon schwer genug, weil er ein bisschen anders ist? Mussten die uns auch noch in den Dreck ziehen?«
Ich versuchte, mit Joey Blickkontakt aufzunehmen, doch er wandte sich ab. Einen Augenblick später schloss sein Vater die Tür.
»Diese ganze Pater-X-Geschichte ...« Mit frustrierter Miene drehte Mac den bunt blinkenden Lichterketten den Rücken zu. »Sie führt nirgendwohin, Karin. Diese Fehde zwischen den Walczaks und Espositos ist persönlich und bringt uns keinen Schritt weiter.«
»Kann schon sein, aber -«
»In keinem der beiden Fälle geht es um Pädophilie. Was immer sich damals abgespielt haben mag, ob Eddie gelogen hat oder nicht – all das spielt keine Rolle.«
»Und was ist mit all diesen vermissten Mädchen, die anschaffen gehen und umgebracht werden? Die Art und Weise, wie die Dekkers umgekommen sind, deutet darauf hin, dass sie etwas wussten. Davon bin ich überzeugt. Kurz darauf wird Abby ganz in der Nähe auf der Nevins angefahren, und unser Pater X weicht ihr nicht von der Seite. Und warum redet sie nicht?«
»Weil sie dazu nicht in der Lage ist.«
»Laut ärztlichem Befund sind ihre Stimmbänder intakt, und neurologisch fehlt ihr auch nichts.«
»Nur dass sie nicht sprechen kann.«
»Ach, komm schon. Du weißt, dass mehr dahintersteckt.
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