Karin Schaeffer 03 - Die stumme Zeugin
Kochbuch samt einer Lesebrille. Davon hatte ich bei meinem letzten Besuch keine Notiz genommen. Was hatten die Dekkers wohl an jenem Sonntagabend gemacht, als Tina unerwartet vor ihrer Haustür stand und läutete? Dass ein einziges Klingeln die Macht hatte, ihre Welt vollkommen auf den Kopf zu stellen, musste Marta ziemlich verstört haben. War sie wirklich nur eine unbeteiligte Zuschauerin gewesen? Mir erschien es unbegreiflich, wie man mit so einem Mann zusammenleben konnte, ohne mitzukriegen, dass mit ihm irgendetwas nicht stimmte. Ich schüttelte verständnislos den Kopf. So ein Fall ließ nur zwei Schlussfolgerungen zu: Entweder hatte Marta sich gewaltig in die Tasche gelogen, oder sie war seine Komplizin gewesen.
Nichts deutete darauf hin, dass sich jemand im Haus befand. Meine Anspannung ließ etwas nach. Sofort ermahnte ich mich, Vorsicht walten zu lassen.
Unter der Treppe, hatte Abby behauptet.
Ich schaute mich um.
Wie in allen hiesigen Sandsteinhäusern verband eine Treppe – in diesem Gebäude besaß sie ein auf Hochglanz poliertes Holzgeländer – die einzelnen Stockwerke miteinander. Ich stellte mich neben sie und spähte nach oben. Verbarg sich unter einer der Stufen ein Hohlraum? Nein, so ein Versteck war zu klein für das, was diese Männer verbergen mussten. Während ich darauf achtete, mich von der orangeroten Vase fernzuhalten, schritt ich langsam die Wand neben der Treppe ab. Die altmodische Kassettenholzvertäfelung mit ihrem hübschen, aber das Auge verwirrenden Muster aus Quadraten und Kreisen war aufwendig restauriert worden. Wie hypnotisiert blieb ich davor stehen. Jeder Kreis wurde von zwei weiteren Kreisen eingerahmt und hatte in der Mitte eine Vertiefung.
Ich trat einen Schritt näher, fuhr mit der Fingerspitze über den nächsten Kreis und in die dazugehörige Mulde. Wie viele Menschen hatten in den vergangenen Jahrzehnten die Beschaffenheit dieses komplizierten Musters studiert? Je länger ich es betrachtete, desto mehr Details entdeckte ich: Ein Dutzend Kreise zierten jedes einzelne Paneel, das etwa halb so groß wie eine Tür war. Zwischen den Paneelen gab es winzige Fugen, die man mit bloßem Auge kaum erkennen konnte.
Früher als Kinder hatten Jon und ich stundenlang das große, alte viktorianische Haus meiner Großeltern in Montclair erkundet. Und nachdem wir dort eingezogen waren, entdeckten wir scheinbar willkürlich im Haus installierte Geheimfächer, deren Existenz meine Großeltern mit einem Augenzwinkern leugneten. Nach einer Weile kannten wir jedes Fach in- und auswendig, und die Faszination ließ nach. Manche hatten zierliche Griffe, die schon bei einer leichten Berührung aus dem Paneel sprangen, während andere mit einer Spannfeder versehen waren und sich nur auf Druck hin öffneten.
Nach und nach berührte ich jedes Element, bis mir das Glück hold war und sich eine Tafel öffnete.
KAPITEL 25
Dahinter befand sich eine staubige Kammer, in der all das aufbewahrt wurde, was eine Familie im Lauf der Zeit so ansammelte: Fahrradhelme, Tennisschläger, ein Eimer, ein noch nicht ausgepackter Schlauch. Der modrige Geruch nahm mir den Atem und erinnerte mich an meine erste Wohnung in Brooklyn, wo Mäusekadaver in den Wänden verrotteten. Da es zu dunkel war, um in der Kammer alles erkennen zu können, verließ ich sie und suchte in der Küche nach einer Taschenlampe. Schließlich wurde ich in einer Schublade fündig.
Nun, da ich jeden letzten Winkel ausleuchten konnte, zeigte sich, dass die Dekkers hier eine Menge Schuhe aufbewahrten: weiße Turnschuhe unterschiedlicher Größe, hochhackige Lederstiefel, Crocs in verschiedenen Farben und Größen, rote Regenstiefel und große Desert Boots aus braunem Wildleder mit Schlammspritzern. Ich leuchtete in einen der Wildlederschuhe und wurde ganz aufgeregt: In die Innensohle war eine »10« gestanzt. Danach richtete ich die Taschenlampe auf die Turnschuhe und wurde fündig: ein neues New-Balance-Modell für Herren. Ich konnte mich nicht mehr genau daran erinnern, welches Modell der Mörder – entsprechend dem am Tatort gefundenen Abdruck – getragen hatte, aber eines war mir im Gedächtnis haften geblieben: La-a hatte von Schuhgröße 10 gesprochen.
Gerade als ich aus der Kammer kroch und La-a anrufen wollte, hatte ich den Eindruck, irgendwo in meiner Nähe ein Klopfen zu hören. Ich schwenkte die Taschenlampe hin und her, konnte jedoch nichts Verdächtiges finden. Vielleicht saß eine Maus hinter der Wand fest. Bei einem
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