Karin Schaeffer 03 - Die stumme Zeugin
ist fortgerannt. Und da bin ich ihr hinterhergelaufen, um ihr zu verraten, wo er ihre Sachen versteckt hat. Ich wollte, dass sie sie wiederkriegt.«
Nach ein paar Minuten hatte Abby sich beruhigt und erzählte: »Ich habe Dathi gefragt, ob sie Tinas Sachen holen kann ... aus dem Versteck unter der Treppe, damit ich sie Mami geben kann, wenn sie mich holen kommt. Dathi hat versprochen, mir zu helfen. Sie wollte während der Mittagspause zu mir nach Hause, schnell die Sachen zusammenpacken und hinterher wieder in die Schule gehen.«
»Schätzchen«, begann ich, wohl wissend, dass sich manchmal die einfachsten Fragen am schwersten beantworten lassen. »Warum hast du nicht schon früher mit uns darüber gesprochen?«
»Ich hatte Angst«, wisperte sie. »Ich wollte nicht eins von diesen Mädchen auf den Fotos werden, wenn Onkel Steve mich zu sich holt. Daddy hat mir nie weh getan, weil ich den Mund gehalten habe. Aber ob das wirklich der Grund war ... Keine Ahnung.«
KAPITEL 24
Kaum saßen Mary und ich im Taxi nach Brooklyn, rief ich in Dathis Schule an und fragte, ob jemand sie nach der Mittagspause gesehen hatte. Die Schule handhabte das ziemlich locker und erlaubte den Kindern, während dieser Zeit das Gelände eine Stunde lang zu verlassen. Zweimal pro Tag – am Morgen und nach dem Mittagessen – wurde durchgezählt. Ich musste kurz warten, bis die Sekretärin meinen Verdacht bestätigte.
»Morgens war sie anwesend, aber am Nachmittag nicht.«
»Und wieso hat mich niemand angerufen und darüber informiert, dass sie nach der Mittagspause dem Unterricht ferngeblieben ist?«
Die Sekretärin hielt kurz inne und seufzte. »Es macht keinen Sinn, die Eltern jedes Mal zu verständigen. Aber wir halten solche Vorfälle schriftlich fest.«
Dass ihre Kollegin, mit der ich vorhin telefoniert hatte, das nicht überprüft hatte, ärgerte mich maßlos. Wieso machten sie sich eigentlich die Mühe, Fehlzeiten zu dokumentieren? Zum Zeitvertreib?
Ich überlegte, Billy anzurufen, hielt das dann aber für keine gute Idee. Stattdessen rief ich seine Schwester an. Die Sache mit der Einkaufstüte wollte mir nicht aus dem Kopf gehen, und ich brauchte in diesem Punkt einfach Gewissheit.
»Hi, Janine, ich bin’s, Karin«, stellte ich mich vor. »Eine Freundin von Billy.«
»Alles klar. Er spricht oft von Ihnen. Und hat offenbar einen Narren an Ihrem kleinen Sohn gefressen.«
»So ist es.«
»Jungs in dem Alter sind richtige Wonneproppen.«
»Janine, ich wollte mich bei Ihnen für die Sachen für Dathi bedanken. Sie kann Kleidung gut gebrauchen. Wir sind Ihnen wirklich sehr verbunden.«
»Keine Ursache. Schade, dass es nur eine Handvoll Klamotten war. Sie hat doch nichts gegen diese supermodische katholische Schultracht, oder?« Sie lachte kurz auf.
Ich hatte nicht den leisesten Schimmer, wovon sie da redete.
»Dathi möchte unbedingt wie eine kleine Amerikanerin aussehen«, erwiderte ich, »aber vielleicht nicht unbedingt so amerikanisch.«
»Wollen Sie damit andeuten, sie ist zu verklemmt für einen blauen Faltenrock samt passendem Pulli?«
»Ach, diese Sachen habe ich wohl übersehen.«
»Das Gute an Schuluniformen ist, dass sie den Geldbeutel schonen, weil die Kinder nur am Wochenende Freizeitkleidung tragen. Blöde ist allerdings, dass man die Sachen meistens nicht einfach weiterreichen kann. Schließlich gibt es nicht so viele Mädchen, die eine katholische Schule besuchen. Da sich Rock und Pulli meiner Meinung nach gut kombinieren lassen, kann Dathi vielleicht etwas damit anfangen.«
»Danke. Übrigens ... haben Sie eine Ahnung, wo Billy steckt? Ich muss ihn unbedingt finden.«
»Billy? Nein, da kann ich Ihnen nicht weiterhelfen.«
»Er erwähnte, dass Sie einen Wasserrohrbruch hatten ... was für ein Albtraum.«
Sie schwieg kurz und sagte dann: »Wir sind heute Morgen aus Jamaika zurückgekommen, und unsere Rohre sind in Ordnung.«
Ich versuchte, mich aus der misslichen Situation herauszureden, und beendete wenig später das Telefonat. Nun gab es nichts mehr zu deuteln: Billy hatte den gestrigen Tag und Abend nicht seiner Schwester geholfen. Auch die Erklärung, die Kleider hätten seiner Nichte gehört, und der Wasserrohrbruch waren erstunken und erlogen.
Ich rief auf dem 84. Revier an und fragte nach La-a.
»Puh, Karin. Was willst du jetzt schon wieder?«
»Dathi könnte in Schwierigkeiten stecken.«
»Meine Liebe, ich habe fünf Kinder, und ich kann dir sagen, bislang ist mir noch kein Teenager über
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