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Karin Schaeffer 03 - Die stumme Zeugin

Karin Schaeffer 03 - Die stumme Zeugin

Titel: Karin Schaeffer 03 - Die stumme Zeugin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Pepper
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kleinen Haus in dem Dorf Sahalwada, wo auch Chali und ihr Bruder Ishat aufgewachsen waren. Da der Zeitunterschied zwischen Indien und New York neuneinhalb Stunden betrug, war es dort halb fünf in der Früh gewesen, als George mich anrief. Aus diesem Grund hatte ich entschieden, sie ausschlafen zu lassen und den Anruf aufzuschieben.
    Die halbe Nacht hatte ich wach gelegen und überlegt, wie ich ihnen die entsetzliche Nachricht beibringen sollte. Gleichwohl mussten sie über Chalis Tod in Kenntnis gesetzt werden, und zwar von mir. Erst jetzt merkte ich, wie selten sie über ihr Leben hier in New York gesprochen hatte. Ich wusste eigentlich nur, dass sie fünfundzwanzig Stunden pro Woche bei uns arbeitete und in der restlichen Zeit gelegentlich auf andere Kinder aufpasste. Über alles andere hatte Chali kein großes Aufheben gemacht. Ihr ganzes Leben war nur auf ein Ziel ausgerichtet gewesen: ihre Tochter zu sich zu holen. Je länger ich darüber nachdachte, desto sicherer war ich mir, dass hinter Chalis Plänen für Dathi mehr steckte, als sie verraten hatte. Sie selbst hatte man im zarten Alter von dreizehn Jahren zwangsverheiratet; und Dathi war mittlerweile zwölf. Vielleicht hatte Chali unter Zeitdruck gestanden und schnell handeln müssen, um Dathi vor dem gleichen Schicksal zu bewahren.
    Jetzt musste es in Indien halb vier Uhr nachmittags sein. Inzwischen dürfte Dathi von der Schule nach Hause gekommen sein. Oder war es vielleicht besser, wenn ich allein mit Edha sprach? Dann konnte sie den furchtbaren Schlag zumindest ansatzweise verarbeiten und entscheiden, wann und wie sie es Dathi mitteilte, deren Enttäuschung und Trauer gewiss unermesslich sein würden.
    Ich wählte die Landesvorwahl und anschließend die Nummer von Edha. Zunächst hörte ich es knacken, ein paarmal klingeln, und dann war die Leitung plötzlich tot. Ich probierte es noch dreimal, doch immer mit dem gleichen Ergebnis. Schließlich wandte ich mich hilfesuchend an die internationale Vermittlung, wo ich erfuhr, dass dieser Anschluss nicht mehr existierte.
    Als der Wasserkessel pfiff, sprang ich hektisch auf, um ihn schnell abzustellen, damit der Lärm nicht Ben vorzeitig aus dem Schlaf riss. Danach schaltete ich meinen Laptop auf dem Küchentisch ein und suchte im Posteingang nach Dathis Namen. Sie hatte mir vor zwei Monaten einmal gemailt, kurz nach meiner Fehlgeburt, und mir ein Gedicht geschickt, das sie für meine tote Tochter verfasst hatte. Ihre warmherzige Geste und die wunderschönen Verse auf Englisch – sie lernte diese Sprache in der Schule – hatten mich sehr berührt.
    Sie reitet auf einem Tiger
weg vom Feuer
in den Himmel
mit einer Lotusblume in der Hand.
    Auf den Blütenblättern
stehen ihr und
dein Name
geschrieben in Wasser.
    Ich las das Gedicht und klickte das Antworten-Feld ein, woraufhin eine neues Fenster aufging. In meiner damaligen Antwort hatte ich mich nur bei ihr bedankt. Und auch jetzt machte ich nicht viel Worte.
    Hallo, Dathi,
ich müsste mit deiner Großmutter sprechen und wollte sie anrufen, aber die Nummer, die ich von euch habe, ist nicht mehr gültig. Würdest du ihr bitte ausrichten, sich bei mir zu melden?
Sei ganz lieb gegrüßt
Karin Hoffentlich versetzten meine Direktheit und die Tatsache, dass ich Chali mit keiner Silbe erwähnte, sie nicht in Panik, aber es schien mir angeraten, mich kurz zu fassen und zuerst mit Edha zu sprechen. Ich schickte die Mail ab und machte dann für Mac Tee und Toast.
    * * *
    Am darauffolgenden Morgen saß ich mit einem in unregelmäßigen Abständen hustenden und zitternden Mac in Dr. Velasquez’ Wartezimmer. Fast den gesamten gestrigen Tag hatte ich gebraucht, um ihn zu diesem Besuch zu überreden; doch zu guter Letzt waren ihm die Einwände ausgegangen. Und dass er sich besser fühlte, konnte er nun wirklich nicht behaupten.
    Endlich wurde sein Name aufgerufen. Er bestand darauf, allein in das Sprechzimmer zu gehen, und warf mir diesen Blick zu, der besagte: Du bist nicht meine Mutter. Die Wartezeit, die mir ewig vorkam, vertrieb ich mir damit, immer wieder mein Black-Berry zu konsultieren und nachzusehen, ob Dathi mir geantwortet hatte, was jedoch nicht der Fall war. Vier ganze Tage waren seit Chalis Tod verstrichen, zwei Tage, seit ich sie gefunden hatte, und vierundzwanzig Stunden, seit ich versucht hatte, mit ihrer Familie Kontakt aufzunehmen. Sollte ich heute wieder keine Antwort erhalten, würde ich morgen versuchen, den Bruder ausfindig zu

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