Karin Schaeffer 03 - Die stumme Zeugin
rumgetrieben.«
»Zeugen?«
»Dreißig Leute haben ihn gesehen. Er hat sich den Hintern abgefroren bei einem Barge-Musikkonzert auf dem East River, unten bei der Brooklyn Park Bridge. Wir haben das überprüft: Er war allein. Alle, die ihn kennen, behaupten, er hätte nichts für klassische Musik übrig, sondern stünde auf Hip-Hop, Rap, Punk.«
»Du hast gesagt, er wäre Privatier ...«
»Na ja, als das bezeichnet er sich auf seiner Facebook-Seite. Vor zwölf Jahren hat er seine Reinigung verkauft. Anschließend investierte er den Erlös und machte ein kleines Vermögen, das er 2008 größtenteils verloren hat. Nun arbeitet er wieder, nur dass ihm die Reinigung diesmal nicht gehört. Er steht also hinter der Theke und nimmt dreckige Klamotten in Empfang, was ihm anscheinend gar nicht gefällt.«
»Belästigt er die Leute nur, oder ist er ein richtiger Stalker?«
»Das müssen wir noch klären. Sein Brooklyn Besuch deutet unserer Meinung nach auf Stalking hin, auch wenn er sich wohl erst in einem Anfangsstadium befindet. Bisher tischt er uns Ausreden auf, warum er die ausgetretenen Pfade verlassen hat. Wir werden sehen. Dash ist gerade an ihm dran, und nach dem Basketballspiel werde ich sie dabei unterstützen. Wo bleibt denn nur Mac?« Wieder warf er einen Blick auf seine Uhr.
Ich lief zur Treppe und brüllte: »Billy wartet!«
»Nur noch eine Minute!«, rief Mac nach oben.
»Also ... was denkst du?« Ich kehrte auf die Couch zurück. Billy, der das Spiel mit Mac nun offenbar in den Wind geschrieben hatte, setzte sich mir gegenüber auf einen Stuhl und zog den Reißverschluss seiner Jacke halb auf. »Fahndest du auch immer noch nach diesem Kerl von der Nevins Street, oder kümmerst du dich ausschließlich um den Dekker-Fall?«
»Dass da ein Zusammenhang besteht, scheint mir recht weit hergeholt. Dash, ich und alle anderen Mitglieder der SOKO – wir verlassen uns auf unser Bauchgefühl, und das sagt, dass die beiden Fälle nur insofern etwas miteinander zu tun haben, als dass Abby am falschen Ort angefahren wurde.«
Ich betrachtete ihn schweigend und versuchte, seine Ausführungen zu verarbeiten.
»Nicht dass es für so etwas den richtigen Ort gibt, aber du weißt, was ich meine.« Ein Sonnenstrahl fiel direkt auf Billy, der sein Auge zukniff. »Mann, hier ist es plötzlich so hell, dass ich dich auf der Couch kaum erkennen kann.«
»Ich bin noch da.«
»Karin, wenn es dich nicht gäbe, wüsste ich nicht, was ich mit mir anfangen sollte. Das ist mein voller Ernst.«
Ich schmunzelte. »Danke, aber ich weiß nicht so genau, wie du das meinst.«
»Ich habe mich gestern mit jemandem von POPPA getroffen. Er hat mir versprochen, mich erst mal in eine Tai-Chi-Gruppe zu stecken. Nach dem Spiel soll ich dorthin kommen.«
»Das wird dir guttun.«
»Kann sein. Nur bin ich eh schon rund um die Uhr beschäftigt, und die Tage sind einfach zu kurz.«
»Das empfinden alle so. Du musst dir einfach die Zeit geben, um zu -«
»Wie viele Leute kennst du, die neben allen anderen Aufgaben noch einen Serienmörder kriegen müssen?« Er stand unvermittelt auf und steckte die Hände in die Taschen. Durch den Stoff der Jogginghose konnte man sehen, wie er die Hände zu Fäusten ballte.
»Ich will ja nur sagen, dass Zeit relativ ist«, versuchte ich ihn zu beschwichtigen. »Wenn du einen Flashback kriegst, einen Aussetzer hast und abtauchst ... was passiert dann mit deiner Zeit?«
»Sie verpufft.«
»In Grunde genommen ist sie doch verloren, oder? Sieh es doch einfach so: Die Tai-Chi-Stunden ersetzen die außerplanmäßigen Halluzinationen.«
Auf seinem Gesicht machte sich ein Lächeln breit, und die Hände in seinen Taschen entspannten sich. »Er hat mich auch mit einem Psychiater zusammengebracht, der auf Fälle wie meinen spezialisiert ist.«
»Was hast du denn?«
»Als ob du das nicht wüsstest.«
»Ich habe es dich noch nicht laut sagen hören. Vielleicht wäre das eine gute Übung, damit du offen und ehrlich an die Therapie rangehst. Anderenfalls wird das nicht funktionieren.«
»Weißt du, was, Karin? Du solltest Therapeutin werden.«
»Das will ich aber nicht.« Ich legte mich auf dem Sofa nach hinten, starrte ihn an und wartete. »Los, sag es!«
»Posttraumatisches Belastungssyndrom. Zufrieden?« Er sprach jedes Wort so aus, als hätte er einen schweren Stein im Mund.
»Glaubst du allen Ernstes, ich wäre jemals zufrieden?«
Wir brachen in schallendes Gelächter aus, und just in dem Moment kam Mac in
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