Karin Schaeffer 03 - Die stumme Zeugin
Basketballshorts, einem T-Shirt und offener Winterjacke ins Wohnzimmer. »Fertig?«
Billy erhob sich und verließ mit Mac das Zimmer.
Ich rannte den beiden hinterher. »Mac, willst du wirklich in Shorts rausgehen?«
»Keine Zeit, mich umzuziehen, Karin.«
»Du hast was an den Bronchien!«
»Schnee von gestern.« Er fischte die Schlüssel aus der Schale neben der Haustür.
Es ging ihm zugegebenermaßen besser, was mich jedoch nicht wirklich beruhigte. »Man braucht nur einen Funken gesunden Menschenverstand, um zu wissen, dass man es nicht übertreiben darf und sich warmhalten soll.«
Billy lachte. Mac küsste mich auf die Wange. Und dann waren sie weg.
Gegen die gleißend helle Sonne zog ich die Jalousien halb herunter, setzte mich mit dem Laptop aufs Sofa und rief die zahlreichen Bewerbungen von Babysittern ab, die mein Postfach verstopften. Die Auswahl wäre mir leichter gefallen, hätte ich nur ein paar Antworten erhalten. Die Fülle der Mails überforderte mich. Du hast einen Fehler gemacht, schalt ich mich stumm, Chali kann durch niemanden ersetzt werden.
Unten gab es einen dumpfen Knall, und dann hörte ich, wie Glas zersprang.
»Ach, Mist«, stöhnte Star.
Ich stand auf und sah nach ihr. Sie stand im unteren Flur und lehnte an Bens Bildern. An der gegenüberliegenden Wand, wo wir Familienfotos aufgehängt hatten, fehlten zwei Bilderrahmen. Das zersprungene Glas auf einem Schnappschuss von Mac und mir – wir waren damals gerade auf Hochzeitsreise in Griechenland gewesen – erinnerte an ein Spinnennetz. Auf dem Foto trug Mac wie üblich ein T-Shirt, das die vielen Narben verdeckte, die er einem ganz üblen Schurken zu verdanken hatte, und ich war sichtlich hochschwanger.
Bei der anderen Aufnahme war das Glas noch intakt, aber eine Ecke vom Rahmen war gebrochen.
»Sind Sie in Ordnung?«, fragte ich Star.
»Ich habe eine Pirouette gedreht und das Gleichgewicht verloren.« Ihr kurzes blondes Haar war verstrubbelt, der Lippenstift verschmiert.
»Eine Pirouette?«
»Ich bin Tänzerin ... Ich möchte Tänzerin werden, wollte ich sagen.«
»Ich dachte, Sie hätten in einer Investmentbank gearbeitet.« Und zwar drei Jahre, falls ich mich richtig an ihren Lebenslauf erinnerte.
»Irgendwie muss man ja sein Geld verdienen.« Sie grinste verlegen. Das blonde Haar schmiegte sich an ihr schmales Gesicht. »Außerdem bin ich zwanghaft ehrlich, damit Sie’s gleich wissen.«
»Sehr schön.« Ich rang mir ein Lächeln ab. »Sollen wir hier jetzt Ordnung schaffen?«
»Darum kümmere ich mich. Sagen Sie mir nur, wo ich den Besen finde.«
Gerade in dem Moment, als ich sie in die Küche führte und ihr die Abstellkammer zeigte, klingelte das Telefon.
»Ich gehe ran!«
»Nein, nicht nötig. Hier.«
Mit Besen und Kehrschaufel bewaffnet, stürmte sie nach unten.
Ich holte einmal tief Luft und nahm nach dem vierten Läuten ab.
»Mrs. Schaeffer?«
»Am Apparat.«
»Ich rufe wegen Ihrer Referenz an«, sagte ein Mann.
»Falls es um den Job geht – der ist schon vergeben.« Inzwischen hatte ich meine Zweifel, ob diese Bemerkung in naher Zukunft auch noch zutraf.
»Job?«
»Rufen Sie nicht wegen einem unserer Inserate an?«
»Chali Das, meine Mieterin, hat Sie bei der Anmietung der Wohnung als Referenz angegeben.«
Augenblicklich musste ich an die schrecklichen Ereignisse der vergangenen Woche denken, und es fröstelte mich auf einmal. Vor meinem geistigen Auge sah ich sie mit dieser grauenvollen Stichwunde auf der Bahre liegen.
»Ja, Chali.« Mehr wusste ich nicht zu sagen.
»Jemand muss vorbeikommen und das Apartment ausräumen. Die Polizei ist hier laut eigener Aussage fertig. Ich muss die Wohnung wieder vermieten, sonst kann ich die Hypothek nicht bedienen.«
Die Vorstellung, ihre Sachen durchzugehen, befremdete mich. Ich nahm kurz den Hörer vom Ohr und versuchte, mich zu sammeln. »Was halten Sie davon, wenn ich morgen Vormittag komme?«, schlug ich schließlich vor.
»Morgen passt mir gut. Spätestens Freitag. Am Wochenende möchte ich die Wohnung neuen Interessenten zeigen.«
Ich legte auf und rührte mich nicht von der Stelle. Nach ein paar tiefen Atemzügen holte ich meine Handtasche hervor, kramte Detective Vargas’ Visitenkarte heraus und rief ihn an, um mir von ihm bestätigen zu lassen, dass er und seine Kollegen den Tatort tatsächlich freigegeben hatten.
»Ja«, erklärte Vargas. »Wir sind dort durch.«
»Wie läuft die Ermittlung?«
»Halten Ihre Kollegen vom 84. Sie nicht auf
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