Karl der Dicke & Genossen
alles blieb ruhig. Kein Ast knackte, kein Blatt raschelte.
„Du hast dir den Mann nur eingebildet“, flüsterte Karl, „weil du von dem Mord im Schwarzwald gelesen hast.“
„Glaub’ ich nicht“, antwortete Egon leise. „Ich hab’ ihn ganz deutlich gesehen. Spürt ihr nicht, wie unheimlich diese Stille ist?“
Sie lagen regungslos und horchten.
Als aber minutenlang kein Geräusch zu ihnen hereindrang, gewann die Müdigkeit unmerklich Gewalt über sie. Ihre Aufmerksamkeit ließ nach, und der Schlaf versuchte sie einzufangen.
Plötzlich schreckten sie jedoch wieder auf.
Sie hörten Schritte, vorsichtig tappende Schritte!
Jemand tastete sich auf das Zelt zu und bemühte sich, kein Geräusch zu machen.
Sie lagen mit klopfendem Herzen und wagten nicht, sich zu rühren.
Die Schritte aber tappten näher, unheilvoll, drohend, kaum hörbar. Kein Schuhwerk knarrte, nackte Füße tupften auf Gras und Laub. Die Jungen erstarrten, einen stummen Schrei in der Kehle.
Da stieß der Unheimliche, der fraglos in bösester Absicht an das Zelt heranschlich, mit dem Fuß gegen eine der Leinen. Es klang, als hätte jemand eine dunkle Geigensaite gezupft.
Jetzt stand er über ihnen, mit dem Messer, mit der Pistole in der Hand, und gleich würde er sich auf sie stürzen, würde schießen und stechen.
Sie hatten keine Chance, denn sie lagen, er aber stand. Bis sie aufgesprungen und aus dem Zelt gekrochen waren, hatte er sie dreimal erschossen.
Aber noch geschah nichts. Bange Sekunden verstrichen. Worauf wartete er?
Plötzlich, als ihm das Hoffnungslose ihrer Lage bewußt geworden war, riß Guddel sich aus der Erstarrung, zog mit einem Ratsch den Reißverschluß auf, griff die halbgefüllte Wasserflasche und stürzte nach draußen.
Karl und Egon folgten im selben Augenblick, mit einem Schuh und dem Brotmesser bewaffnet.
Guddel warf die Flasche dorthin, wo er den Angreifer vermutete. Er traf ins Leere.
Auch Karls Schuh fand kein Ziel. Niemand war in der Nähe. Sie holten die Lampe heraus und leuchten rund um das Zelt. Der Schein zitterte über Büsche und Gras, erfaßte aber weder einen Menschen noch ein Tier.
„Wenn du uns vor dem Einschlafen noch mal solche Räuberpistolen vorliest“, knurrte Karl verärgert, aber doch sehr erleichtert, „werfen wir dich den Geiern vor, du Nachtgespenst.“
Sie schlüpften ins Zelt zurück und schliefen eine Weile später so tief und fest, als wenn es keine Angst und keine Aufregung gegeben hätte.
Am anderen Morgen regnete es in Strömen. Die Tropfen schlugen so heftig auf das Zelt, daß die Jungen fürchteten, es könnte jeden Augenblick zerreißen. Am Fußende, wo das Gepäck lag, hatte das Wasser ein Loch in der Zeltbahn gefunden und tropfte klimpernd auf Karls Fünflitertopf. „Was ist denn los?“ rief Egon. „Träume ich, oder regnet’s tatsächlich?“
Karl, noch ganz benommen, grunzte: „Du träumst. Schlaf bloß wieder ein, damit die Sonne durchkommt.“
Auf einmal schoß er in die Höhe, als ob ihn eine Schlange gebissen hätte.
„Verflixt, meine Decke ist ja ganz naß! Seit wann läßt unser Zelt denn Wasser durch?“
Er setzte sich hin und befühlte seine Decke. Guddel suchte mit den Augen das Zeltdach ab.
„Das Dach ist dicht“, sagte er, „außer an der Stelle dahinten.“
„Ach nee“, rief Karl. „Dann hab’ ich wohl ins Bett gemacht, was?“
„Mensch, meine Decke ist ja auch klatschnaß!“ schrie Egon. „Die kann man auswringen wie einen Schwamm. Das ist vielleicht eine Pleite! Wenn der Regen noch eine Stunde anhält, können wir hier im Zelt um die Wette schwimmen.“ Guddel hatte inzwischen Dach und Wände geprüft, jetzt untersuchte er den Boden. Und da fand er die Leckstelle bald. „Das darf doch nicht wahr sein“, rief er. „Wißt ihr, woher das Wasser kommt? Es läuft quietschvergnügt unter der Zeltwand durch. Guckt euch das an, ein richtiger Bach! Es muß sofort jemand ‘raus und einen Graben ziehn.“
„Danke bestens“, sagte Egon, „das ist keine Arbeit für einen Rundfunkreporter. Ich schlage vor, die Technik bemüht sich.“
„Wie willste denn ohne Schaufel einen Graben ausheben?“ fragte Karl spöttisch.
„Mit einem Kochlöffel“, antwortete Egon schlagfertig. „Wir müssen das Zelt im Wald aufbauen“, sagte Guddel. „Hier steht es an einem Hang, da wird uns das Wasser immer ‘reinlaufen.“
„Bevor wir es irgendwo anders aufbauen können, müssen wir es hier ja wohl abbauen, oder?“ fragte Karl.
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