Karl der Dicke & Genossen
der Paradegeier voriges Jahr ins Sanatorium mußte? Man sagt, daß ihn der Schlag bei der Lektüre deines Aufsatzes über Abraham Lincoln getroffen habe.“
„Da hast du’s“, rief Karl, „ich bin erwiesenermaßen für Nachhilfeunterricht völlig untauglich.“
Guddel antwortete nicht mehr, er schlief schon.
Am nächsten Tage wurde die begonnene Arbeit fortgesetzt, und wieder war Frau Bobenhausen sehr zufrieden mit ihren Helfern.
Egon saß auf dem hohen Mähdrescher wie ein Dressurreiter bei einer schwierigen Figur. Er hatte den Oberkörper entblößt und schützte sich mit einem Strohhut, der so groß war wie ein Wagenrad, gegen die Sonne. Pausenlos fuhr er hin und her und verkleinerte die Fläche des stehenden Weizens zusehends. Manchmal, wenn er an der höchsten Stelle des Feldes war, konnte er den roten Traktor sehen, mit dem Karl den Kartoffelacker umrundete.
Beiden Fahrern vergingen die Stunden sehr rasch, denn sie empfanden ihr Tun nicht als Arbeit, sondern als einen großen Spaß. Und daß sie als Stadtmenschen auch Landarbeit leisten konnten, verschaffte ihnen Befriedigung. Pech für Guddel, daß er Deutschunterricht geben mußte und das Hochgefühl, das man empfindet, wenn man eine schwere Maschine beherrscht, nicht kennenlernte.
Aber in dem Punkt irrten Karl und Egon. Guddel saß nämlich nicht acht Stunden täglich mit Rolf über den Büchern. Das hätte sein Privatschüler nicht ausgehalten. Und auch er nicht.
Wenn sie zwei Stunden am Vormittag durch das Dickicht der deutschen Rechtschreibung gekrochen waren und am Nachmittag noch einmal zwei, waren sie reif für eine lange Pause. Sie schipperten dann mit Rolfs Faltboot auf der Weser herum, angelten auch mal und veranstalteten immer, wenn der zweite Traktor auf dem Hof war, ein Geschicklichkeitsfahren. Dazu stellten sie leere Weinflaschen zu einem Slalomkurs hintereinander auf und versuchten, die Lücken zu durchfahren, ohne eine umzustoßen.
Anfangs war Rolf dabei viel geschickter als Guddel, weil er das Traktorfahren von klein auf kannte, aber Guddel lernte rasch und war ihm schon am zweiten Tage ein ernst zu nehmender Gegner.
Frau Bobenhausen beobachtete die beiden Jungen und war glücklich darüber, daß Rolf so willig und ohne Murren lernte und dabei doch nicht um seine Ferien betrogen wurde. Vielleicht würde er durch Guddels Hilfe mal zu einem Erfolgserlebnis kommen und dadurch zu intensiver Weiterarbeit ermutigt werden.
Jeden Abend, wenn alle anderen vor dem Fernseher saßen und der Reihe nach einschliefen, schrieb Guddel einen Bericht für Onkel Edus Zeitung. Als er fünf fertig hatte, schickte er sie ab und erbat in einem Begleitschreiben das Geld nach Bremen. Er war sicher, daß sie mit dem Arbeitslohn, den Frau Bobenhausen ihnen zahlen würde, und dem Honorar für die ersten Berichte den Rest der Fahrt finanzieren konnten.
Nach sieben Tagen Arbeit bei strahlendem Sonnenschein waren Weizen und Kartoffeln geerntet.
Frau Bobenhausen zahlte den Jungen zweihundertsechzig Mark aus und lud sie ein, noch einige Tage bei freier Kost als Gäste auf dem Hof zu bleiben.
„Ihr könntet von hier aus ohne alles Gepäck Tagesfahrten in den Reinhardswald machen“, sagte sie. „Da gibt es viel zu sehen. Die Trendelburg zum Beispiel oder die Sababurg, auf der die Brüder Grimm wohnten und Märchen sammelten. Wenn ihr kein festes Ziel habt, könntet ihr euch dieses besondere Vergnügen doch erlauben.
Die Jungen sahen sich an.
Freie Kost und ein wasserdichtes Dach über dem Kopf waren eine handfeste Sache. Außerdem mußte das Fahren ohne Gepäck bestimmt eine Wonne sein.
„Ganz ohne Ziel sind wir eigentlich nicht“, sagte Karl langsam. „Wir haben nämlich in Hannoversch Münden noch was zu erledigen.“
„Und in Kassel“, ergänzte Guddel.
„Nach Kassel und Münden sind es kaum mehr als vierzig Kilometer“, sagte Frau Bobenhausen. „Könntet ihr das nicht in einer Tagestour schaffen?“
„Natürlich“, versicherte Egon, „vierzig Kilometer reißen wir in zwei Stunden herunter. Das ist kein Problem für uns.“ Als Frau Bobenhausen hinausging, weil der Briefträger nach ihr gerufen hatte, benutzte Karl die Gelegenheit, seine Meinung offen zu sagen.
„Natürlich bleiben wir hier“, flüsterte er, „auch wenn wir uns auf der Rückfahrt ein wenig beeilen müssen und den Harz auslassen. Mensch, wir machen Ferien auf dem Bauernhof, das ist doch die Masche heute. Ich weiß gar nicht, was es da zu überlegen gibt! In der
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