Karlas Umweg: Roman (German Edition)
dadurch Willem einen entscheidenden Schritt näher komme.
Marie betrat also mit dem üblichen Leuchtblick meine hintere Hotelzimmerkemenate mit Blick auf das Landestheater und das Österreichische Hauptpostamt und fragte beiläufig, ob sie störe. Ich hatte nämlich gerade einen Brief an Ludger angefangen, den ich aber hastig zu meinen Abführteebeuteln in die Nachttischschublade gleiten ließ. Natürlich störte sie nicht, lieferte sie mir doch wieder neuen Stoff für mein Tagebuch, welches sich schon krümmte vor Neugier auf die Geschehnisse der letzten Nacht! Marie hat, wie ich ihr nicht lange aus der Nase ziehen musste, mit Hartmut Rosenmondt einen Spaziergang durch die nächtlich schwach beleuchtete Stadt gemacht, um, endlich des zahnlosen Schwiegervaters ledig, ein paar Informationen über Eugen Paterne zu erhalten. Hartmut Rosenmondt jedoch hatte nur spärliches Interesse daran, seine wenigen schwiegervaterlosen Minuten damit zu verplempern, über seinen arroganten Orchesterchef zu sprechen. Ihm lag vielmehr daran, mit Marie die einschlägigen Nachtlokale der Stadt heimzusuchen, da er in Begleitung des Schwiegervaters dort inzwischen Hausverbot hat.
Marie erzählte mir dann anschaulich und kurzweilig, welche Shows sie Salzburgs Nachtleben entlocken konnten und wie teuer eine Flasche Champagner in solchen Etablissements ist. Sehr freudig erregt stellte sie klar, dass Hartmut Rosenmondt ein gut verdienender Cellist sei, da er auch vor der dritten vierstelligen Rechnung – in Schilling – nicht zusammenzuckte, sondern lässig seine goldene Kreditkarte rüberwachsen ließ. Schon wieder ein Mann von Welt! Dass Marie aber auch grundsätzlich an so tolle Typen gerät! Ludger hat sein Flanellhemd ganz bestimmt im Sonderangebot im Einkaufszentrum erstanden und schätzungsweise nicht mit der goldenen Kreditkarte bezahlt. Ich bin mir nicht sicher, ob ich mit Ludger einen günstigen Fang gemacht habe. Das nur nebenbei. Nicht ganz unvorhergesehenerweise wollte Hartmut Rosenmondt dann allerdings auch noch mit Marie gemeinsam nächtigen, und mit Rücksicht auf meine schlafende Wenigkeit ging man in das Hotel des Cellisten, der glücklicherweise nicht das Zimmer mit seinem zahnlosen Schwiegervater teilt.
Marie sah sich genötigt, dem ungeduldigen Drängen des Herrn Solo-Cellisten nachzugeben, und gab sich ihm hin, was ja völlig gegen ihre eigentliche Natur ist, aber sie tat es ausschließlich, wie sie mir glaubhaft versicherte, um Informationen über Eugen Paterne zu erhalten. Das Ergebnis war trotz besagter Investition von enttäuschender Magerkeit: Herr Rosenmondt war nämlich nach dem anstrengenden Abend nicht mehr fähig und willens, Marie irgendwelche anderen Auskünfte zu erteilen außer der, dass er sie liebe und dass er sie zu ehelichen gedenke.
»Aber das ist doch toll!«, rief ich erfreut, weil ich weiß, wie viel Wert Marie darauf legt, dass Männer, die sie schon länger als eine halbe Stunde kennen, sie auch heiraten wollen.
»Ach Karla, du bist geradezu entsetzlich naiv!«, tadelte sie mich aber auf meinen Wortbeitrag hin. »Ich will doch von dem Typ nicht geheiratet werden! Stell dir nur mal vor, was für einen Schwipp-Schwiegervater ich mir dann einhandeln würde!« Wir lachten beide herzlich, und insgeheim war ich Marie dankbar, dass sie meine Dämlichkeit so auf die leichte Schulter nehmen kann.
Jedenfalls hat sie überhaupt nichts anderes erreichen können als heute einer Orchesterprobe für das Abschlusskonzert beiwohnen zu dürfen, wobei sie ganz leise und ganz unauffällig im Saal sitzen muss, aber sie wird ihn sehen: Eugen Paterne! Also, ich denke, dass sich der Aufwand für Marie auf jeden Fall gelohnt hat.
Marie ist erschüttert: Herr Paterne hat sie keines Blickes gewürdigt! Obwohl sie direkt hinter seinem Rücken saß, zwei volle Stunden lang! Marie sagt, so was sei ihr noch nie passiert, dass ein Mann sie einfach nicht zur Kenntnis nimmt. In ihren ganzen dreißig Lebensjahren sei ihr das noch nicht passiert. Sie weinte herzzerreißend. Ich versuchte sie zu trösten, indem ich ihr sagte, dass mir in meinen ganzen vierundzwanzig Lebensjahren noch nie passiert sei, DASS mich ein Mann zur Kenntnis nimmt, aber sie fand den Scherz nicht gelungen genug, um mit dem Weinen aufzuhören. Nun bleibt das Essen heute Abend abzuwarten, wo Marie unter dem Kronleuchter sitzen und das grüne Kostüm anhaben wird. Es ist völlig ausgeschlossen, dass Paterne Marie diesmal nicht bemerken wird. Das sagte ich
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