Karlas Umweg: Roman (German Edition)
schimpfte ich. »Dann könnten wir vermutlich ungestört miteinander sprechen.« Marie trank einen Schluck Wein und leerte ihr Glas. Der aufdringliche Kellner wollte sich schon wieder nähern, da schnappte ich mir die Flasche aus dem Kübel und schüttete Marie das Glas bis zum Rand voll.
»Der soll in seiner Ecke bleiben«, grunzte ich drohend. »Also, warum ist der Zurlinde ein Problem? Abgesehen von seinen heimwerkerischen Fähigkeiten: Er kann dich doch fördern und seine Connections spielen lassen!«
»Ja, das tut er normalerweise auch«, räumte Marie ein.
»Nur?«
»Nur ist der Heyko inzwischen in einem Stadium angelangt, das man getrost mit ›besitzergreifend‹ bezeichnen kann. Er will nicht, dass ich nach Paris gehe. Weil ich dann nicht mehr in seiner Obhut bin, darum!«
»Aus rein egoistischen Gründen will er dir deine Karriere vermasseln?«
»Ja. Er sagt, dass er zu Hause alle Türen und Tore für mich öffnen wolle, aber er könne es nicht ertragen, wenn ich nach Paris ginge.«
»So ein Schwein«, sagte ich fassungslos. Dieses Stichwort nutzte der Oberkellner, um das legendäre Wiener Schnitzel vor uns abzustellen. Umständlich fingerte er an den Bratkartöffelchen herum, bis er sie einigermaßen gerecht auf unseren Tellern verteilt hatte. Er machte das alles sehr hastig und verzog sich unmittelbar, wobei er sich verkniff, uns darüber aufzuklären, was genau sich nun auf unseren Tellern befand. Das sahen wir ja. Schnitzel mit Bratkartoffeln. Zu vierstelligen Summen. In Schilling.
Es war ein lernfähiger Oberkellner, wie ich zufrieden feststellte. Wir machten uns über das Essen her und hatten es in drei Minuten vertilgt.
»Was also soll ich tun?«, fragte ich Marie, die noch kaute.
»Nimm mir Zurlinde ab.«
»Wie – ab?«
»Na, mach irgendwas mit ihm«, sagte Marie. »Du bist doch ein sehr hübsches Mädchen. Du weißt dich zu kleiden und du kannst dich inzwischen sehr gut bewegen. Zurlinde wird Gefallen an dir finden. Du musst ihn nur erst drauf bringen.«
»Worauf?«
»Na, dass du … auch etwas für ihn wärest!« Ich schluckte. Das war das erste Mal, dass Marie mir einen ihrer Liebhaber anbot, leihweise.
»Aber … er wird mich nicht wollen!«, stammelte ich und dachte an die unromantischen Nächte mit Edwin Echtwein auf staubigen Konzertbühnen, wo er mir im Trainingsanzug Klavierstunden gab, nur damit Marie sich mit Zurlinde amüsieren konnte.
»Klar wird er dich wollen! Du musst ihm eben nur das Gefühl geben, dass du … ihn auch willst!«, sagte Marie und trank schnell einen großen Schluck Wein. »Außerdem gibt er dir alle Leistungsscheine, die du für die Zwischenprüfung brauchst.« Ich überlegte. Eigentlich ist es immer nett, wenn man für ein nicht vollzogenes Studium die Diplome hinterhergeworfen kriegt. Aber das war es gar nicht, was mich reizte. Eigentlich war es ein großes Kompliment von Marie an mich, dass sie mich um diesen Gefallen bat. Erstens fand sie mich attraktiv genug für Zurlinde, zweitens schien ich auch genug Grips im Kopf zu haben für einen Professor, und drittens war es natürlich ein ganz großer Vertrauensbeweis, dass Marie ausgerechnet mich fragte. Sie hatte doch sicher ganz andere Freundinnen, mit mehr Stil und Format, meine ich. Aber jetzt, wo sie mich gefragt hatte, wollte ich sie auch nicht enttäuschen. Ich trank ebenfalls einen großen Schluck Wein, blickte ihr tief in die Augen – sie leuchteten schon wieder – und versprach ihr, mich ab morgen ganz intensiv um Zurlinde zu kümmern, damit sie freies Schaffen mit Paterne hatte. Sie wollte den Kontakt mit ihm nur beruflich. Und sobald der hergestellt war, konnte ich mich getrost von Zurlinde abwenden und meinen eigenen Interessen nachgehen. Außerdem: das alles übt ungemein!
Als der Oberkellner den Nachtisch brachte, war er herzlich willkommen. Er steuerte mit Erdbeeren in Baiserhälften und Moccaböhnchen schüchtern auf uns zu. Als ich ihm aufmunternd zunickte, entschied er sich für ein Grinsen.
»Nur keine falsche Scham«, rief ich ihm fröhlich zu. »Nur herbei mit der ganzen Pracht!« Marie kicherte.
»Du kannst großartig sein, Karla!«, rief sie, während der verstörte Kellner die Nachspeise vor uns ablud. »Auf ältere Männer hast du eine besonders anziehende Wirkung!«
Der leidgeprüfte Kellner zuckte zusammen und machte sich davon. Wir tranken dann noch sehr fröhlich eine weitere Flasche Wään und äfften den albernen Akzent des Oberkellners nach, der nun einem
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