Karlas Umweg: Roman (German Edition)
Pianist dabei sein, und das war natürlich Edwin Echtwein. Ich stand laut Anweisung von Marie vor der Tür des Vorsingeraumes, um gegebenenfalls eine Klavierstunde bei Edwin zu fordern, falls Marie mit Paterne allein sein wollte. Aber sie kam schon nach kurzer Zeit wieder raus, mit Echtwein.
»Wie war’s?«, fragte ich atemlos.
Marie und Echtwein blickten einander vielsagend an. Marie kicherte schließlich nervös. »Gut war’s, glaube ich. Oder?« Sie sah fragend auf Edwin, der sich eine Zigarette angesteckt hatte.
»Hm«, sagte er, den Rauch ausblasend.
Ich blickte von einem zur anderen. »Soll ich … gehen?«
»Hm«, sagte Edwin und blies wieder Rauch aus.
»Soll sie?«, fragte Marie Edwin. »Sie geht sofort, wenn man ihr das sagt.«
Edwin wand sich etwas hin und her. Dann ließ er sich zu folgender Erklärung hinreißen: »Gleich kommt noch eine, die muss ich auch begleiten.«
Wir starrten ihn sprachlos an, besonders ich, weil ich ja wusste, wer da noch kommen würde. Die mehlige Kartoffel mit dem klingenden Namen Sieglinde.
»WAS?«, schrie Marie ihn an. »Das ist nicht dein Ernst. Sag, dass das nicht dein Ernst ist!«
Echtwein rauchte und schaute versonnen seinen Schwaden nach. »Ich bin hier auch nur angestellt«, sagte er schließlich entschuldigend zu Marie. »Es ist doch nur eine reine Formsache. Ich begleite schnell die Andere und dann gehen wir beide noch zu mir … proben.«
»Ich probe nicht mit dir, wenn du gerade von einer anderen kommst!«, schluchzte Marie und rannte davon.
Das violette Kostüm sah unwahrscheinlich gut an ihr aus, besonders, wenn sie rannte.
Edwin guckte mich böse an. »Na, laufen Sie ihr schon nach! Auf was warten Sie!«
»Ich hatte den Eindruck, Marie erwartet das Gleiche von Ihnen«, wagte ich zu stammeln.
»Mensch, sind Sie schwer von Begriff! Ich muss hier noch begleiten!«, fuhr er mich an.
Mich durchzuckte ein Geistesblitz. »Ich kann doch die Sterz begleiten!«, sagte ich eifrig zu Echtwein.
Das ließ er sich nicht zweimal sagen. »Endlich kommt von Ihnen mal was Brauchbares!« Bevor er davon stürmen konnte, drückte ich ihm noch das Beruhigungsmittel in die Hand, das Dr. Vettelhuber mir – also ihr – verschrieben, und das ich immer noch in meiner Handtasche hatte.
»Nur falls sie sich unnötig aufregt«, rief ich dem Wegeilenden nach. Das wird sie mir bestimmt niemals vergessen, dass ich so umsichtig und spontan gehandelt habe. Zugegeben, ich hätte selber ein Beruhigungsmittel gebraucht, als ich da so allein auf dem Flur stand und nicht wusste, ob ich Herrn und Frau Sterz sowie Herrn Kapellmeister Paterne als Pianistin auch willkommen sein würde. Aber um mich ging es ja nun wirklich nicht. Hastig trommelte ich einige Fingerübungen auf die Fensterbank. Zugegeben, ich habe seit Monaten keine Taste mehr angerührt, aber vom Zuschauen lernt man doch auch etwas, hat jedenfalls Echtwein behauptet, damals, als er mich überredete, mit auf die Konzerttournee in die Provinz zu gehen. Und die Carmen-Arien habe ich ungelogen schon zweihundertmal umgeblättert.
Da hörte ich auch schon Stimmen und Schritte auf der Treppe. Herr und Frau Kammersänger wälzten sich wie Panzer auf soeben erobertes Gebiet! Ich räusperte mich, fuhr mir noch schnell durch die Haare und zupfte an meinem Pullover. Seit ich mich wie Marie kleide und bewege, sehe ich fast selbst wie Carmen aus. Carmen für die Armen.
Ohne mich auch nur eines Blickes zu würdigen, walzten Siegmund und Sieglinde Sterz an mir vorbei, rissen ohne anzuklopfen die Tür auf und verschwanden im Vorsinge-Raum. Drinnen hörte ich Stimmen; sie begrüßten sich und rückten Stühle und räusperten sich und sogar ein kleiner, ungezwungener Scherz zur Auflockerung der förmlichen Situation wurde gemacht. Dann wurde es still. Ganz ohne Zweifel vermisste man Echtwein. Ich stand wie ein Kaninchen, das aus Versehen aus seinem Stall ausgebrochen ist, steif und panisch vor der Tür und traute mich nicht, hinein zu gehen. Ich wollte mich in Bewegung setzen, aber meine Beine gehorchten mir nicht. Meine Hände waren so schweißnass, dass ich mir nicht im Geringsten vorstellen konnte, sie gleich zum Spielen der drei Carmen-Arien benutzen zu können. Ausgeschlossen. Am liebsten wäre ich weggelaufen, ganz heimlich und feige, aber selbst dazu war ich nicht fähig.
Die Tür wurde aufgestoßen und Sterz erschien, sich bückend, im Rahmen. »Wo ist dieser Klavierspieler?« An den Wänden und vom Treppenhaus her hallte seine
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