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Karlas Umweg: Roman (German Edition)

Karlas Umweg: Roman (German Edition)

Titel: Karlas Umweg: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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einmal raten solle, wer da bei ihr im Wohnzimmer sitze und auf ihrem Klavier spiele. Eine Pianistin! Und Ludger sei mit ihr bekannt!! Eine Künstlerin sei ich, und ein sehr nett aussehendes Mädel dazu! Wie ihr Ludger sie doch überrasche! Den Rest des Gespräches musste ich nicht mehr mit anhören, weil sie das Telefon immer wie einen Hund an der Leine hinter sich herzerrte in den Flur, wo sie weitertelefonierte. »Lasse Se sisch net störe!!«, beschwor sie mich immer wieder, und das tat ich dann auch nicht. Karrieren beginnen steinig und dornenreich. Tante Hella war eine von diesen Dornen. Zum Schluss sang ich ihr noch die Carmen vor und klapperte mit zwei Kochlöffeln dazu, da fiel ihr schier das Gebiss raus vor Begeisterung. Und Ludger stand stumm dabei.
    Gegen Mittag erschien der Dornenvogel wieder. Mit ihm wehte ein heftiger Grünkohlgeruch in die gute Stube.
    Es wäre der Tante eine große Ehre, wenn ich mir etwas von dem Grünkohl reinziehen würde, und ihn, Ludger, tät’s auch echt freuen. Was sollte ich machen? Seit Tagen, was sage ich, Wochen, habe ich nichts Warmes mehr gegessen. Ich ging also mit in die Küche, wo Tante Hella gerade liebevoll den Grünkohl in eine blassblaue Schüssel goss, aus der er dann mit einer bayerisch verzierten Schöpfkelle wieder entnommen werden würde. Ich durfte auf der bayerisch verzierten Eckbank sitzen und ein großes Glas H-Milch mit besonders üblem Nachgeschmack trinken. Ludger tat das auch mit Hingabe und sein Adamsapfel vollführte wahre Loopings dabei.
    Die Tante war sehr aufgeregt über »der selldene Besuch aus Künstläkraise« und berichtete über die Resonanz ihrer morgendlichen Anrufaktion. Dann musste ich den grünen Brei mit Hilfe einiger fetter durchwachsener Speckschwarten auf die H-Milch in meinem Magen kippen und zum Nachtisch gab es Pflaumenkompott mit wieder hervorzubringenden Steinen. Schade, dass Papa nicht da war. Er macht doch so was mit Leidenschaft. Auch Ludger hatte eine gewisse Übung im Hervorbringen von Pflaumenkernen und sein Kehlkopf vollführte auch hierbei Freudensprünge. Das verwaschene, blassblaue Hemd, das er anhatte, hatte exakt die Farbe seines VW-Käfers, und das machte ihn noch viel blasser und magerer, als er ohnehin schon war. Sein Haar, was sehr lieblosen Friseuren in die Hände gefallen sein muss, ist stumpf und strähnig und nahm mit der Zeit jene blassblaue Farbe an, die auch das Geschirr von Tante Hella hatte. Aus ähnlich blassblauen Kaffeetassen gab es dann noch Pulverkaffee mit H-Milch und zur Feier des Tages spendierte Tante Hella dazu die vertrockneten Überreste eines angebrochenen Weihnachtsstollens. Ich war gerührt und dankbar über so viel wahre Gastfreundschaft, und mir wollten schier die Tränen kommen, als Ludger seiner Tante Hella beim Abtrocknen half! Wie er da so mit seinen langen, mageren Fingern das blassblaue Geschirrtuch um die blassblauen Teller schlang, da schaute er mich einen tiefen, innigen Moment lang aus seinen blassblauen Augen an.
    Da wusste ich: es ist um ihn geschehen.
    Tante Hella, in ihrer feinen, hellhörigen Subtilität, wusste das auch. Mit harmlosem Unterton schlug sie ihrem schlaksigen Neffen vor, mich doch nach Heidelberg zu fahren, wo wir heute Abend auftreten. Ich wehrte bescheiden und heftig ab, ich hätte den beiden doch schon genug Arbeit und Umstände gemacht und ich könnte doch ebenso gut mit dem Zug fahren. Doch Tante Hella wurde energisch: »Der Junge fährt Sie nach Haidlbärsch!«
    Das tat er dann auch. In seinem blassblauen, alternativen Käfer mit den Umweltschutz-Aufklebern drauf. Atomkraft nein danke und so. Marie hätte heftigen Brechreiz gekriegt. Ich hatte ganz anders gelagerte Probleme: heftigen Pupsreiz. Mein Magen ist ja nichts mehr gewöhnt und meine Verdauungsorgane schliefen seit Wochen einen friedlichen Winterschlaf. Nach dem vielen Grünkohl mit Speckschwarte war mein Gedärm alles andere als friedfertig gestimmt. Übellaunig und zornig randalierte es in meinen Innereien vor sich hin und heftige Gasbomben verlangten dringend durch den Notausgang zu entweichen. Ich weiß nicht, wie es Ludger ging, aber er schien nicht wie ich ausschließlich damit beschäftigt zu sein, die Pobacken zusammenzukneifen. Er konzentrierte sich auf das umweltschonende Rechtsfahren im benzinsparenden Tempo von 85 km/h. Die Fahrt war entsetzlich lang. Ich hätte doch mit dem Zug fahren sollen, dachte ich, finstere Gedanken an Tante Hella sendend. Selbst zu Fuß wäre ich noch

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