Karlas Umweg: Roman (German Edition)
schneller gewesen. Düster ballten sich die Wolken am Horizont, und düster ballten sich auch die Wolken in meinem Inneren und schoben sich, auftürmend und wieder zusammenfallend, von einer Seite auf die andere. Zweimal bat ich um ein kurzes Päuschen, mehr war aus taktischen Gründen einfach nicht drin. Schließlich schlief ich vor Erschöpfung auf dem Beifahrersitz ein. Ist ja kein Wunder, bei den vier Stunden Schlaf pro Nacht! Wie viele umweltbelastende Gase mir währenddessen entwichen sein mögen, weiß ich nicht, aber als wir in Haidlbärsch ankamen, hatte Ludger sein Fenster runtergekurbelt.
So etwas wäre Marie nie passiert! Ich muss noch viel lernen.
Vor dem Hotel war ein grauer, öder Hofparkplatz, und dort stieg ich aus dem blassblauen Käfer, müde und zerschlagen, und sehnte mich nach einer Dusche und einer Toilette. Ich verabschiedete mich also hastig von Ludger und stammelte noch einen Dank für seine wirklich-nicht-nötig-gewesene Freundlichkeit. Dann raffte ich meine Noten vom Rücksitz und rannte auf mein Zimmerlein.
Noch zwei Stunden bis zum Konzert! Diesmal würde ich mich dringend noch etwas entspannen und frisch machen müssen! Als ich gerade mit einem tiefen dankbaren Seufzer nackt unter der Dusche stand, klopfte es an die Tür. Zuerst zaghaft und so, dass ich wünschte, mich verhört zu haben, aber dann lauter und heftiger. Bestimmt sollte ich Marie wieder irgendwelche Brausetabletten oder Verhüterli oder Beruhigungsmittel aus der Apotheke besorgen. »Moment bitte! Ich bin im Bad!«Obwohl ich mich noch ganz und gar nicht entspannt fühlte, stiefelte ich mit Turban und Badehandtuch umhüllt zur Tür, um Marie um einen Moment Geduld zu bitten.
Es war jedoch Ludger Thiesbrummel, der da klopfte und Einlass begehrte. Langfingrig reichte er mir meinen dämlichen, abgekauten Bleistiftstummel. »Der lag noch auf dem Rücksitz.«
»Hm«, sagte ich und kniff schon wieder den Hintern zusammen. »Danke. Wäre nicht nötig gewesen.«
»Tja«, sagte Ludger und sein Kehlkopf hüpfte auf und ab. »Ich dachte, du brauchst ihn noch.«
»Nicht wirklich«, erwiderte ich. »Aber trotzdem danke.«
»Genauer gesagt lag er davor. Er ist wohl unter den Beifahrersitz gerollt.«
»Der Schlingel«, versuchte ich einen Scherz. »Wollte einfach Schwarzfahren.«
»Tja«, sagte Ludger wieder. »Dann geh ich wohl jetzt.«
»Ich bin gerade unter der Dusche«, erklärte ich.
»Ach so«, sagte Ludger. »Dann störe ich wohl.«
Da ich ihm nicht widersprach, schwiegen wir.
»Ja also«, sagte ich und blickte mich ratlos in meinem Zimmer um. Das Bett war schon aufgeschlagen, meine Ohropax lagen schon appetitlich rosa auf dem Nachttisch und mein Flanellnachthemd lugte freundlich einladend unter dem Kopfkissen hervor.
»Ich dachte, ich könnte vielleicht noch bis zum Konzert hier bleiben«, sagte Ludger, nachdem auch er meine private Idylle in sich aufgenommen hatte. Ich fand den Vorschlag zum Losheulen schlecht. »Warte hier«, erwiderte ich, ließ die Tür angelehnt und ging ins Bad zurück, um verzweifelt gegen die Kacheln zu boxen. Tränen der Wut und Verzweiflung rannen mir aus den Augen. Ich sah mir dabei im Spiegel zu und fand mich geradezu abstoßend hässlich und verquollen. Nicht einmal in Ruhe pupsen darf der Lakai!, höhnte mein Spiegelbild. Wie bringt Marie es nur fertig, stets göttlich und appetitlich zu sein? Hat sie nie das Bedürfnis, sich mit einem Schokoriegel und einem spannenden Kitschroman ins Bett zu legen? Warum ist sie immer schön und wohl duftend und auf Männer stets gut zu sprechen? Hat sie noch nie einen Verehrer aus dem Schlafzimmer komplimentiert, um mal in Ruhe einen fahren zu lassen?
Nun habe ich endlich mal einen einzigen Verehrer, blassblau zwar und aus kleinbürgerlichen Verhältnissen, aber er reist mir nach und klopft an meine Zimmertür, genau wie die Supermänner mit Ente im eigenen Ziergarten und Hobbykeller mit selbst gezimmerter Hausbar. Warum bin ich der Situation jetzt nicht gewachsen? Warum wünsche ich mir den Ludger meilenweit weg?
Ich bedachte die Möglichkeiten, die ich hatte. Im Badezimmer einfach auf der Klobrille verweilen, während Ludger sich in den Anblick meines geöffneten Koffers versenken würde, war unmöglich. Mit ihm in dem engen Dachkämmerlein herumzusitzen oder gar zu liegen, erschien mir noch unmöglicher. So blieb mir nichts anderes übrig, als mich wieder anzuziehen und mit dem blassblauen Ludger in der Fußgängerzone rumzuschlendern, bis es
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