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Karlas Umweg: Roman (German Edition)

Karlas Umweg: Roman (German Edition)

Titel: Karlas Umweg: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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Karriere machen und Männer bedienen kann. Daraus ergebe sich meine grundsätzliche Ablehnung gegen alles Essbare, was aus einer bürgerlichen Küche stamme. Er betrachte dies jedoch als vorübergehenden Zustand, da ich, Karla, sicherlich in Kürze nach Bad Orks zurückkehren werde, um wieder einem geregelten und für eine Frau geeigneten Lebenswandel nachzugehen. Zum Beispiel mit einem Mann wie Johannes.
    Papa schwieg und schaute stolz in die Runde. So erfasst und analysiert man eine Situation, und so interpretiert man in kurzen, knappen und allgemein verständlichen Sätzen einen jungen Menschen, der auf Irrwege geraten ist! Genüsslich führte er sich den Pflaumenkuchen zum Munde. Wieso ich anfing zu heulen und türenknallend aus dem Haus rannte, verstand niemand, auch ich selber nicht. Jedenfalls zog ich noch für diese eine Nacht zu Marie und Echtwein ins Hotel.
    Marie und Willem sind mit Maximilian zum Schiläufen nach Zürs gefahren, in ein Fünf-Sterne-Hotel. Dort brauchen sie mich nicht, haben sie gesagt, denn das Hotel stellt ein Kindermädchen. Frau Krotoschyin und Frau Perl haben frei. Ich muss mich um Olga, die seibernde Dogge, kümmern, die man leider nicht in das Fünf-Sterne-Hotel mitnehmen kann. In meinem Elend gestern Abend setzte ich mich an meinen Schreibtisch in der Mansarde und schrieb einen Brief an Ludger Thiesbrummel. Wenn ich heute so überlege, warum ich einen so abwegigen und sinnlosen Gedanken in die Tat umsetzte, kann ich nur sagen: Damit wenigstens noch ein Mensch an mich denkt. Ich hätte Sport treiben sollen oder Klavier üben oder ein Bad nehmen! Stattdessen schrieb ich an Thiesbrummel, dass es mir schrecklich leid täte, ihn so behandelt zu haben, aber es habe sich um einen akuten Krankheitsfall gehandelt und ich würde ihm das alles gern erklären, wenn es noch mal zu einem Wiedersehen kommen würde, was ich sehr hoffen würde. Das habe ich alles geschrieben. Und meine Adresse. Nachdem ich den Brief eingeworfen hatte und die sabbernde Dogge mich auf den üblichen Rundgang gezerrt hatte, wusste ich eigentlich nichts mehr mit mir anzufangen. Es stimmt schon, dass ich im Moment recht appetitlos bin und ziemlich erfreulich an Gewicht verliere. Für eine angehende Karrierefrau ist es auch unheimlich wichtig, in knappe enge Leinenkostüme zu passen und die mageren Beine im VIP-Wartesaal der Flughäfen wirkungsvoll übereinander schlagen zu können. Dicke Pianisten erwecken den Anschein, als würden sie beim Klavierüben Lila-Pause-Riegel knabbern. Nur der ausgemergelte Künstler gilt als strebsam!
    Ich vermisse Marie und Willem schrecklich. Tagsüber geistere ich durch das leere große Haus und betrachte die Möbel und Bilder, öffne auch schon mal dieses oder jenes Fotoalbum, überfliege auch den ein oder anderen Brief … was soll ich machen ohne meine Herrschaft? Außer dem Auszerren der Dogge habe ich nichts zu tun, als das Haus zu hüten. Ich könnte nun ungestört auf dem weißen! Flügel! üben. Aber das ist wie mit dem Essen; wenn man es sich erst einmal abgewöhnt hat, mag man überhaupt nicht mehr damit anfangen. Man verfällt in eine gewisse Lethargie. Tagsüber ziehe ich mich gar nicht mehr richtig an, sondern walle in einem von Maries Negliges durch die Zimmer. Nur wenn ich mit der Dogge gehe, muss ich schon was Solides, Reiß- und Spuckefestes anhaben. Ich rede mit keinem Menschen, außer mit der goldenen Kladde von Regina, die jetzt schon zur Hälfte voll ist. Wenn das Regina wüsste! Dass sie mir ein unentbehrliches Utensil geschenkt hat, damals, als ich Geburtstag hatte und von meiner Selbstfindung noch gar nichts wusste. Echtwein hat per Postkarte mitgeteilt, dass er für unbestimmte Zeit nach Amerika geht. Ich habe die Postkarte natürlich gelesen, wie ich alles lese, was für Marie ankommt. Könnte ja mal was Wichtiges dabei sein. Der Warmduscher ist ausgewandert. Da hat er also das Handtuch geschmissen. Was aus seinen Schülern wird, ist ihm völlig piepegal. Der denkt nur an sich. Ein egozentrischer Waschlappen. Wie ich soeben feststelle, spielen sich die meisten Schimpfwörter für untaugliche Männer in der Badezimmersprache ab.
    Da fällt mir ein: Matthäus hat angerufen. »Wat machste denn ohne dem Echtwein seine künstlarische Unterweisung?«, fragte er interessiert. »Weisse ja, dat de demnächs ne Zwischenprüfung machen muss, wennze weiter anne Hochschule der Künste immatrikuliert sein wilz!«
    »Matthäus«, sagte ich cool, »ich bin vollkommen

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