Karlas Umweg: Roman (German Edition)
autark.«
»Willze nimmähr auf Staatskosten studiern? Bisse beklopp? Kriss doch Bafög, oda nich! Oda hassen reichen Macker an Land gezoogn?«
Ich dachte voll Sehnsucht an Willem, natürlich nicht an sein Geld, sondern nur daran, dass er der Mann meiner Träume ist, aber davon sagte ich Matthäus nichts.
Abends trafen wir uns in seiner bevorzugten Stehimbissbude in Kreuzberg. Wir wollten mal wieder richtig gepflegt zusammen ausgehen. Das hatten wir eigentlich noch nie getan, aber jetzt war es an der Zeit, auch mal aus meinem goldenen Käfig rauszukommen. Sagte jedenfalls Matthäus. Er wüsste da ein feistes Szenelokal, ich sollte mir wat Geilet an den Leib hängen.
Ich vertauschte das Negligé gegen ein Paar von Maries knackigen schwarzen Lederhosen und einen von Maries Sechshundert-Mark-Pullovern und malte mich mit Maries Schminkzeug echt feist an. Das Einzige, was von mir selber war, war meine Unterhose. Ich sah verändert aus, als ich die Imbissbude betrat, und Matthäus, der schon bei der dritten Dose Bier angelangt war, starrte mich an, weil er mich kaum erkannte.
»Hasse dir de Haare gefärbt oda ne neue Brille oda wat?«
Zugegeben. Ich habe mir auch die Haare gefärbt, in dem gleichen Ton, den Marie hat: mahagonifarben.
Matthäus bestellte sich sein übliches Menü, nämlich das, was in der Mensa unter Essen zwei läuft: Currywurst und lappige Pommes mit roter Schuhcreme drauf. Ich selbst war an dem Abend relativ appetitlos, besonders, wenn ich Matthäus beim Essen zusah, und deshalb bestellte ich mir nur einen Viertelliter Weißwein. Es gab auch Gläser, wenn ich auch, gesellschaftspolitisch anpassungsfähig, aus der Flasche trank.
»Wat machse denn getz? Bisse Hausmädchen oder Anstandsdame gewordn? Man sieht dir überhaupt nimmähr inne Mensa. Hasse am Studiern getz aufgehöat?«
Ich erzählte ihm geduldig, dass sich das wahre Studium des Lebens und der Dinge in mir selbst abspiele, und dass ich rein Klaviermäßig schon längst auf dem Stand sei, wo die internationale Karriere beginnt. Es komme jetzt nur noch auf das Outfit an, an dem ich zurzeit ziemlich intensiv arbeite, und auf ein paar sachdienliche Connections, aber als Frau sei es nicht schwer, welche zu bekommen.
»Du quatscht ein Schaiß!«, sagte Matthäus und bohrte sich im Ohr. »Kannze als Schlagergöre machen, watte da vorhass, aba nich wennze fanünftige Musik machen willz.« Ich sagte milde lächelnd, dass ich ja hautnah durch Marie erlebte, wie frau sich auf Weltklasse-Milieu zu bewegen habe. Er möge mir bitte ersparen, in Einzelheiten zu gehen. Jedenfalls gebe es keinerlei Probleme, sich beruflich zu etablieren, wenn man als Frau gewisse Spielregeln der Gesellschaft einhalte.
»Wat mainze damit?«, fragte Matthäus, der begriffsstutzige Prolet. »Bumsen oder wat?«
Ich errötete, weil mir der Umgang mit solcherlei Vokabular relativ fremd ist.
»Klappt garantiert nich!«, frohlockte Matthäus schadenfroh. »Is kein Rezept für gutes Klavierspielen! Entweda du kannz dat oda nich. Wobei es nich von Nachteil is, wenn de keine fette Landpomeranze mit Pickeln und n breitgesessenen Aasch bis.« Er grinste gönnerhaft. »Dat hasse ja schon inne Tat umgesetzt.« Er stellte seine Bierdose auf den Tresen und kniff mir mit der frei gewordenen Pranke an die Wange. »Waaß au schomma abstoßender!«
Ich errötete schon wieder, diesmal über das charmante Kompliment und die erotisch stimulierende Berührung.
»Wennde ausgetrunken has, könnwa gehn«, sagte Matthäus ohne Überleitung. »Meine Bude is hier umme Ecke.« Ich dachte, dass Marie einer solchen Situation bestimmt gewachsen sein würde, aber mir kam im Moment nicht in den Sinn, auf welche Weise.
Ich trank also meinen Weißwein aus und folgte Matthäus in seine Behausung. Sie erwies sich als feuchte Absteige im fünften Stock eines Altbaus, den man nur über zwei Hinterhöfe erreichte. Das Treppensteigen kostete meine geschwächten Knie einige Mühe. Die Wohnungstür war nicht abgeschlossen, dafür baumelte ein Totenkopf an einem Strick davor. Kaum ein Penner oder eine Ratte hätte noch Interesse an einem Einbruch gehabt. Der Flur war nasskalt und zugig, das lag daran, dass die Etagenfenster, die mit Persilkästen verklebt waren, nicht ganz zuverlässig abdichteten. Auf der Fensterbank war ein rege benutztes Taubenklo. Die Kleckse zogen sich von den Persilkästen bis auf den Fußboden. Wir traten ein.
Matthäus sagte großzügig: »Setz dich«, aber ich musste diese originell
Weitere Kostenlose Bücher