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Karlas Umweg: Roman (German Edition)

Karlas Umweg: Roman (German Edition)

Titel: Karlas Umweg: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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an. »Wat bist du denn für’ne Wortklaubertussi? Spinnste oder studierste Klavier, ey?«
    »Klavier, ey!«, sagte ich und grinste. Der Kommilitone mit dem einfachen Wortschatz grinste auch. Er bot mir seinen krümeligen Zigarettenvorrat an und schob mir auch noch freundschaftlich die matschige Bananenschale vor die Brust. »Kannze mir ‘n Gefalln tun?«, sagte er versöhnlich. »Rauch ma eine. Ick wollt dir wat fragen.« »Wat willste mir denn fragen?«, sagte ich und lehnte die Zigarette dankend ab. Ich rauche nicht. Kein Nachkomme meines Vaters raucht. Und den Dativ missbrauchen wir auch nicht.
    »Kannzte heute Ahmt im Konzert blättan? Ick hab dat zwaa versprochen, aba hab janz fajessen, det ick schon wat anderes vorhab heute Ahmt.«
    Ich stellte fest, dass der Mensch einerseits aus dem Ruhrgebiet zu stammen scheint, andererseits jedoch auch die Berliner Mundart schon in sein Repertoire aufgenommen hat. Ein sprachbegabter, flexibler Bursche, und vor allen Dingen ungeheuer locker drauf. Er erklärte dann noch etwas ausführlicher, was sein Gesuch war: Er hatte fest zugesagt, in einem Liederabend im Auditorium die Noten umzublättern, für Herrn Professor Echtwein, seinen Klavierlehrer, aber andererseits habe er eine nicht mehr rückgängig zu machende Verabredung am Billardtisch seiner Stammkneipe, und bevor er nun irgendeine billige Vertretung zum Billardspielen schicke, würde er sicherlich viel eher eine billige Vertretung für das Umblättern des Liederabends organisieren können. Und da ich doch neu sei und vielleicht für heute Abend noch keine Verabredung getroffen habe, wende er sich nun mit der kollegialen Bitte an mich, ihn würdig zu vertreten. Das Umblättern in einem Gesangs-Konzertexamen sei eine höchst verantwortungsvolle Aufgabe, die könne nicht jeder x-beliebige Student bewältigen, wohl aber eine Pianistin, die in der Aufnahmeprüfung eine Eins plus gemacht hätte.
    Ich lächelte geschmeichelt. Aber klar würde ich das übernehmen, sagte ich.
    »Feist, echt feist von dir, ey«, sagte er und stand endlich von unserem gemeinsamen Stuhl auf. »Da kannste jede Menge Gummipunkte für kriegen, echt, ey.«
    Ich wagte nicht zu fragen, ob Gummipunkte an dieser Hochschule vielleicht das Gleiche seien wie die Fleißkärtchen, die Reginas Klavierschüler im hessischen Bad Orks für fehlerfrei gehämmerte Brech-moll-Etüden bekommen, und stand auch auf. Sofort wurde der Stuhl von hungrigen Studenten gestürmt.
    »Matthäus heiß ich, nebenbei erwähnt«, sagte der blonde Billardspieler beim Rausgehen. »Ick verlass mir drauf, dass du heute Ahmt bei der Show die Seiten knickst, woll? Geh ma sicherheitshalber um siehm hin und sach, dat ick dir schick und det mir janz übel im Maagn is vom vielen Klavier-ühm. Det macht n juten Eindruck. Und grüß die Marie und sach se, se soll so geil trällern wie imma. Tschauli!«
    Damit war er weg, der erste Kommilitone, der mit mir gesprochen hat. Matthäus. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich jetzt kalauern, dass er seine eigene Passion komponieren könnte, aber Papa und Mama würden das für einen geschmacklosen Scherz halten. Papa würde unwillig Kirschkerne spucken, und Mama würde spitzzüngig bemerken, dass dieser Matthäus sicher nicht der geeignete Mann für mich sei. Aber – Schwamm drüber. Ich lebe jetzt mein eigenes Leben und muss solche Dinge mit Papa und Mama gar nicht mehr diskutieren.
    Das führt ja zu nichts.
    Mein erster öffentlicher Auftritt! Wer hätte gedacht, dass ich bereits nach wenigen Tagen darüber berichten könnte! Ich war leider nicht mehr ins Studentenheim gekommen, um mich in Schale zu schmeißen, weil ich den ganzen Nachmittag in verschiedenen fensterlosen Schweiß- und Pups-Speichern verbracht hatte, um meine Fingerfertigkeit auf internationales Niveau zu bringen. Gegen sieben ging ich mit knurrendem Magen und etwas nebelig im Kopf runter ins Auditorium, um mich zum Dienst am Notenband zu melden. Der Saal war schon recht gut gefüllt, und das Publikum bestand hauptsächlich aus jener merkwürdigen Gattung Mensch, die sich »Sänger« nennt: überkandidelt, aufgemotzt, ununterbrochen hustend und Dropse lutschend, mit einem schwulen Tüchlein im Hemdkragen die Jungs. Die Mädels waren wie Papageien geschminkt und gekleidet, hockten aufgeregt gackernd und zwitschernd auf der Stange und falteten in hektischer Vorfreude auf den Genuss, eine Kollegin verreißen zu dürfen, die Programmblätter. Ein Konzertexamen! Das ist hier so

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