Karlo geht von Bord - Kriminalroman
Dennoch musste er dem Kollegen recht geben, es gab hier deutliche Hinweise auf einen Zusammenhang der Ereignisse.
„Dann sollten wir mit Frau Müller reden. Bin gespannt, wie sie uns das alles erklären wird.“
„Gut, ich bestelle sie her. Aber es gibt noch mehr. Ich bin die ganzen Aussagen durchgegangen. Drei Leute haben unabhängig voneinander ausgesagt, dass Wurm vor dem Ablegen einen Riesenstreit mit einer Dame, der Beschreibung nach seine Ehefrau Beate, hatte. Und die habe danach schäumend vor Wut das Schiff verlassen.“
„Sie muss aber wieder zurückgekommen sein“, wunderte sich der Hauptkommissar. „Sie war ja auf dem Schiff, als alles passiert ist.“
„Genau.“
„Ach, Reichard, was ist eigentlich mit der Passagierliste? Haben Sie da was?“
„Ja und nein. Die haben nur die Namen der Leute, die reserviert hatten. Es wurden aber auch Karten an der Abendkasse verkauft. Wenn jemand nicht erkannt werden wollte …“
Gehring schaute enttäuscht.
„Schade. Aber ich hab’s mir fast schon gedacht. Außerdem könnte man bei der Reservierung irgendeinen Namen angeben. Die machen ja keine Ausweiskontrolle. Wäre schön, wenn wir wenigstens rauskriegen könnten, wer da ins Wasser gesprungen ist.“
„Ich denke, das war der Kölner?“
„Ja. Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht.“
Gehring stand auf und trat ans Fenster. Als er es öffnen wollte, um ein wenig frische Luft hereinzulassen, klingelte das Telefon.
„Reichard, bitte gehen Sie dran.“
Reichard hob ab und stand sofort kerzengerade.
„Herr Einser! Wir haben Sie schon gesucht. Als wir Sie nicht im Krankenhaus angetroffen … was? Ja, gut.“
Reichard wandte sich etwas beleidigt an seinen Chef, der sofort aufmerksam geworden war. Eilig war er zurück zu seinem Schreibtisch gekommen, hatte Platz genommen und sich das Telefon geschnappt.
„Herr Einser. Na endlich. Wie geht es Ihnen? Was ist da nun wieder passiert?“
Einser schlug dem Hauptkommissar vor, sich erst einmal zu setzen.
„So schlimm?“
„Was heißt schlimm? Es ist doch immer schlimm, wenn jemand ermordet wird. Und fast hätte ich gesehen, wer es war. Aber vorher hat mir jemand eine Beule verpasst. Was? Nein, mir geht es ganz gut. Ein bisschen Kopfweh, das vergeht schon wieder. Ja, Sie haben recht. Ich habe sowieso später einen Termin bei meinem Hausarzt.“
Als der Kriminalbeamte weitersprach, konnte Einser deutlich das Misstrauen in dessen Stimme spüren. Er fühlte sich nicht wohl in seiner Haut.
„Was haben Sie eigentlich auf dem Schiff gemacht? Waren Sie zusammen mit Kölner und seinen Bekannten da?“
Einser schnappte hörbar nach Luft.
„Nein, ich meine, eigentlich ja. Das ist ein bisschen komplizierter. Haben Sie einen Moment Zeit?“
„Also, lieber Kollege Einser“ – die Worte „lieber Kollege“ klangen für Karl Einsers Geschmack ein wenig zu sarkastisch, „wir wissen wohl, dass es eine gewisse Verbindung zwischen dem Ermordeten und Jeannette Müller gab. Ich nehme an, Sie wissen genau, was ich meine. Und Herr Kölner war aus diesem Grund ganz bestimmt auch nicht unbeteiligt.“
Gehring ließ diese Aussage einen Moment wirken, dann schob er so harmlos wie möglich nach: „Was sagt eigentlich Herr Kölner zu der ganzen Sache?“
Einser reagierte hellwach.
„Kölner? Woher soll ich das wissen? Ich dachte, Sie haben schon mit ihm gesprochen, er war doch auf dem Schiff, nicht wahr?“
„Als wir an Bord kamen, war er leider schon weg. Er hat allem Anschein nach ein Bad im Main einem Gespräch mit uns vorgezogen.“
„Ein Bad im Main?“
„Genau. Aber wie auch immer. Jetzt geben Sie mir bitte einen vollständigen Bericht. Alles, was Sie wissen.“
Und Karl Einser erzählte. Dies und das. Vor allem das. Und zwar das, von dem er glaubte, dass Gehring es schon wusste oder wenigstens eine starke Vermutung hatte.
Salamitaktik.
Man lernt eben ständig dazu. Ob vom Bundespräsidenten, von koksenden Fußballtrainern, von Bankvorständen oder anderem Gesindel.
Allerdings erzählte Einser auch noch von Karlos Rachefeldzug. Wie Wurm vor versammeltem Publikum inklusive seiner Frau Beate einer ziemlichen Blamage ausgesetzt worden war.
Er verschwieg auch nicht den geplanten zweiten Teil der Kölnerschen Vergeltung, die fingierte Verhaftung Wurms. Was man einerseits als nicht strafrelevant erachten musste, weil es gar nicht dazu gekommen war. Was aber andererseits dem Hauptkommissar das Gefühl geben musste, etwas Neues erfahren zu haben.
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