Karma-Attacke (German Edition)
durch nichts Äußeres zu erklären war. Die Angst war so monströs, dass er fürchtete, ohnmächtig zu werden.
Sein Vater forderte ihn auf, den Aal zu töten. Er hielt ihm das Messer hin und gab Anweisungen, wie das «Urviech» am besten zu killen sei. Doch Peter konnte es nicht anfassen. Ihm war, als müsste er bei der kleinsten Berührung durch den Aal sterben.
Das Tier zerrte an der Schnur und versuchte, den Haken herauszuwürgen. Aber es hatte den aufgespießten Wurm zu tief geschluckt. Peter sah mit Entsetzen, wie sein Vater seine Hand nahm und in Richtung Aal zog.
Noch jetzt kniff Peter Ullrich bei dem Gedanken die Augen fest zusammen. Er spürte immer noch, wie die schleimige Aalhaut durch seine Finger glitt. Von der Hand her war sein Arm steif geworden, dann der ganze Körper. Der Aal schlängelte sich um Peters Handgelenk. Peter heulte, schrie, fluchte, bettelte, flehte. Er wollte den Aal einfach wegwerfen, er traf aber seinen Vater ins Gesicht. Er konnte sich nicht einmal entschuldigen, er rannte nur weg.
Irgendwann brach er mit Seitenstichen zusammen. Eine Weile lag er mit dem Gesicht im Gras, vollkommen durchnässt. Er schämte sich. Und dann kam die Angst, die Aale könnten in der Dunkelheit herankriechen und sich in seine Hosenbeine schlängeln.
Er flüchtete auf einen Baum. Hier fühlte er sich sicher. Schon damals kam ihm seine Angst vor den Aalen auf eine merkwürdige Weise lächerlich vor, aber sie war unüberwindlich. Die anderen verstanden sie nicht, am wenigsten sein Vater. Inzwischen wusste er, sie kam aus einem Wissen, das jahrtausendealt war und nicht von dieser Welt. Der Aal damals hatte ihn an die Congas erinnert, die auf Thara Angst und Schrecken verbreiteten, wenn die dritte Sonne im Sprühwald unterging.
Sein Vater hatte ihn nie wieder zum Angeln mitgenommen. Für ihn war er von da an eine verweichlichte Memme gewesen. Heute fühlte er sich rehabilitiert. Sogar vor seinem längst toten Vater. Denn er hatte nie wirklich Angst vor Aalen gehabt, sondern immer nur vor den grässlichen Congas. Er fühlte sich geheilt und befreit. Es fehlte nur noch ein kleiner Schritt, um endgültig mit dieser alten Geschichte abzuschließen.
Die Rutenspitze zitterte. Das Knicklicht vibrierte gegen den Nachthimmel, das Glöckchen klingelte. Er war sich ganz sicher: Der Aal hatte den Köder geschluckt.
Er kurbelte ihn heran wie einen alten Autoreifen, packte hart zu. Das Tier war größer als der Aal damals. Ein Raubaal, gut einen Meter lang und drei Pfund schwer. Er nagelte ihn mit dem Finnenmesser an die Erle, trieb die Klinge kurz hinter dem Kopf durch den Leib des Tieres, verfehlte die Wirbelsäule aber knapp. Der Aal versuchte, sich zu befreien. Er wand sich um die scharfe Klinge. Stumm stand Peter Ullrich da und schaute dem Todeskampf zu. Er wusste, er hatte gewonnen. Endgültig. Die Congas waren auf Thara. Im Hier und Jetzt konnten sie ihn nicht bedrohen.
8
Seit drei Stunden wartete sie auf ihn. Die knusprige Ente war längst kalt.
Sabrina Schumann hielt es nicht länger aus. Sie hatte zu Mittag nur eine dünne Suppe geschlürft und sich auf das Abendessen mit Peter gefreut. Sie riss ein Ende vom Baguette ab und goss sich von dem sündhaft teuren Rotwein ein. Was als Candlelight-Dinner geplant war, wurde zum Frustessen. Das silberne Besteck ließ sie liegen, den Wein stürzte sie schneller hinunter als ein Bier an einem lauen Sommerabend. Sie wollte ihn nicht genießen, jetzt nicht mehr.
Mit den Fingernägeln pulte sie ein Loch in die braune Entenhaut, dann bohrte sie den Zeigefinger hinein, bis sie Knochen fühlte. Sie zupfte rosiges Brustfleisch ab und stopfte es sich in den Mund, schloss die Lippen um die Finger und ließ sie nur langsam wieder aus dem Mund gleiten. Fett tropfte auf die Tischdecke. Wen sollte das noch stören? Gab es etwas Traurigeres als einen liebevoll gedeckten Tisch, an dem keiner aß?
Sie schenkte sich nach. Es gefiel ihr, die fettigen Fingerabdrücke auf dem Glas zu sehen. Wenn ihre Hoffnungen trotz aller vorausschauenden Planung enttäuscht wurden, brach in ihr die Sehnsucht durch, eine Schlampe zu sein. Eine, die sich einen Dreck darum scherte, was andere dachten. Eine, die ganz nach ihren eigenen Bedürfnissen lebte. Sie wäre so gern weniger Kopf gewesen und mehr Körper. Seit unzähligen Jahren spielte sie die ordentliche, brave, verlässliche Frau. Politisch korrekt. Moralisch einwandfrei. Finanziell gesichert. Beruflich tadellos. Und was hatte sie
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