Karma-Attacke (German Edition)
hinten und sagte: «Sieh mich an, du Schwein! Mach so etwas nie wieder mit mir, hörst du?! Ich bin es leid, auf dich zu warten. Lass mich nie wieder mit einem Menü sitzen!» Er nickte. Er schwor Besserung.
Sie trank einen Schluck Wein und stellte das Glas hart auf den Tisch. Manchmal brauchte sie diese Machtfantasien, um das Ausgeliefertsein besser ertragen zu können.
Es klingelte.
Er hatte einen Schlüssel, aber er klingelte trotzdem immer - er wollte, dass ihm geöffnet wurde.
Wütend stampfte sie zur Tür. Doch dann stand er vor ihr. Keineswegs in dem silbergrauen Armani-Anzug, den sie für ihn ausgesucht hatte. Auch nicht mit Blumen oder einer Flasche Wein. Nein, stolz wie ein kleiner Junge, der soeben eine Mutprobe bestanden hatte, strahlte er sie an. Er trug einen nassen grünen Overall und Gummistiefel mit einem dicken Matschrand. An seinen Händen und an den Ärmeln klebten Blut und Dreck.
Er hielt einen toten Aal hoch und lachte: «Da staunst du, was? Den hau ich uns jetzt in die Pfanne!»
Sie schluckte, zögerte einen Moment und überlegte, ob sie ihn bitten sollte, die schmutzigen Stiefel auszuziehen. Von dem Aal tropfte zäher Schleim, vermischt mit Blut. Ihr Teppichboden hatte an die hundert Euro pro Quadratmeter gekostet.
Zu spät. Er war schon mitten in der Wohnung.
«Ich habe eine Ente gebraten und …»
Er wischte ihren Einwand mit einer Handbewegung weg. «Ach, Ente! Wer isst denn Ente, wenn es frischen Aal gibt?»
Ohne den gedeckten Tisch zu beachten, durchquerte er mit seinem tropfenden Fang das Esszimmer. In der Küche knallte er den toten Aal auf die Arbeitsplatte und pellte sich aus den feuchten Sachen, die er einfach auf den Boden fallen ließ. Dann ging er ins Bad.
Noch bevor sie protestieren konnte, hörte sie die Dusche. Es war kurz nach dreiundzwanzig Uhr. Sie erwischte sich dabei, dass sie seine Anglersachen aufhob, zum Trocknen aufhängte und seine Stiefel vor die Tür stellte. Sie hätte heulen können beim Anblick ihres Teppichs, und zugleich kam ihr das alles belanglos vor. Sie fand sich kleinkariert und engstirnig. Er wollte sie ja nicht verletzen. Er hatte einfach kein Zeitgefühl. Nicht bei der Arbeit, nicht in der Liebe und auch sonst nicht. Er nahm sich für alles so viel Zeit, wie es eben brauchte. Dann kam das Nächste. Später, nach der Dusche und dem Essen, würde er sich für sie Zeit nehmen. So viel Zeit, wie sie eben brauchte. Alle Zeit der Welt, wenn nötig. Er kannte keine Eile. Was bedeutete da schon der Teppichboden?
Dampfend kam er aus dem Badezimmer. Er trug ihren Bademantel und ihre Hausschuhe, als er den Aal häutete. Es sah nicht lächerlich aus. Seine Handbewegungen waren sicher und präzise. Er würfelte Zwiebeln und schnitt Knoblauch in hauchdünne Streifen.
Vorsichtig versuchte sie, ihn auf die Veränderungen in der Klinik vorzubereiten. So, wie er da stand, alles durcheinander brachte und dabei entrückt lächelte, wusste sie mit jeder Pore, dass sie ihn nicht verlieren wollte. Alles andere war egal. Es war nicht vernünftig, und es war nicht richtig. Es gab Solidere als ihn, aber sie wollte den da.
Sie sprach über Reformen und Strukturen, er schnitt den Aal in fünf gleich lange Stücke und warf sie in die Pfanne. Ihr war sehr deutlich bewusst, dass es ihn nicht interessierte, wer sein Gehalt an ihn überwies. Es hätte ihn nicht einmal schockiert, wenn er von einem Monat auf den anderen tausend Euro weniger Gehalt bekommen hätte. Sie bezweifelte, dass er je einen Gedanken an Steuern oder Abschreibungsmodelle verschwendet hatte. Seine Kollegen verbrachten mit so etwas ihre Freizeit, wurden zu nebenberuflichen Immobilienhaien und Finanzjongleuren. Von diesen Menschen trennten ihn Welten. Sie hätte wetten können, dass er seine Vermögensverhältnisse nicht genau kannte. Wenn er Geld brauchte, bekam er es am Automaten, das reichte ihm. Mehr Energie wollte er dafür nicht verwenden.
«Deine Arbeit», sagte sie, «wird davon nicht unberührt bleiben.»
Einen Moment lang funkelte er sie misstrauisch an.
«Was meinst du damit? Wollen sie mir einen Neurologen vor die Nase setzen?»
Sie schüttelte den Kopf. «Nein … aber…»
«Aber was?» Er drehte mit der Messerspitze die Aalstücke in der Pfanne.
«Deine Arbeit muss … na ja … wissenschaftlichen Maßstäben standhalten.»
Er starrte sie an, als würde er jeden Augenblick mit dem Messer auf sie losgehen, doch dann wandte er sich wieder der Pfanne zu. «Wissenschaftliche
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