Karma-Attacke (German Edition)
nur ein unglaubliches Körpergefühl. Er wurde von einer Kraft durchströmt, die er noch nie in diesem Leben gespürt hatte. Es war, als würden seine Muskeln wachsen und ihre innere Struktur verdichten. Er hatte das Gefühl, jetzt mit seinen bloßen Fäusten Nägel in die Wände treiben zu können. Ja, er hätte die Wände mit den Fäusten zerschlagen können wie mit einer Schlagbohrmaschine. Er hätte ein Wettrennen mit jedem Pferd aufnehmen können. Er konnte sich jetzt vorstellen, dass Menschen glaubten, im Drogenrausch fliegen zu können, oder ohne Zögern aus dem Fenster sprangen. Die physikalischen Gesetze schienen ungültig geworden zu sein, die alten Erfahrungen nur eine einengende Last.
Sein Verstand warnte ihn. Wenn du jetzt mit der Faust gegen die Wand haust, wirst du dir das Handgelenk brechen, nichts weiter.
Seine Haut wurde so sensibel, dass er jede Stelle spürte, an der die daunengefüllte Decke ihn berührte. Er konnte das Leid der Tiere fühlen, denen die Federn ausgerissen worden waren. Er glaubte sogar die Farbe der Wolldecken, mit denen Brigitte Zablonski seine Füße eingewickelt hatte, zu erspüren. Ja, die Haut war wirklich das größte Organ des Menschen. Jetzt erkannte er die ganze Dimension. Es war seine eigene Haut, die es ihm erzählte. Es war intensiver als jedes sexuelle Gefühl, das er bisher gekannt hatte. Nie hatte ein Orgasmus ihn so sehr spüren lassen, dass er lebte.
Gleich meldete sich sein Verstand wieder, der Angst hatte, danach könnte er süchtig werden. So könnte er abhängig werden von Frau Zablonski. Doch der Verstand hatte nichts mehr zu sagen. Seine Einwände wurden zur Kenntnis genommen und belächelt. Die Haut regierte. Ihre Weisheit schickte den Verstand auf einen Platz in den hinteren Reihen zurück.
Ackers’ Hände lagen jetzt nicht mehr locker geöffnet da wie vorher, sondern sie krampften sich in die Decke. Er zerriss sie, als wollte er die Gänse von ihren Peinigern befreien. Während seine Finger sich in das Inlett wühlten, verstand er die wahre Bedeutung des Wortes «begreifen». Er spürte, wie sich seine Poren öffneten und schlossen. Ein paar Millimeter weiblicher Haut hätten jetzt ausgereicht, um ihn zur Raserei zu bringen.
Er wühlte in den Erinnerungen der Decke nach den weiblichen Körpern, die sie vorher eingehüllt hatte. Mindestens vier Frauen, die Kontakt zu dieser Decke gehabt hatten, konnte er voneinander unterscheiden. Eine von ihnen war Brigitte Zablonski. Hier in der Falte dieser bunten Decke hing die Magie ihrer Schenkel. Ihm wurde heiß und kalt zugleich. Seine Haut wurde ein Teppich, auf dem er fliegen konnte.
Er stöhnte aus der Tiefe seiner Bauchhöhle heraus. Seine Ohren meldeten dem Verstand die merkwürdigen Laute, die er machte, und kategorisierten sie als Schreie aus einem Kreißsaal. Solche Töne hatte er bis jetzt nur einmal gehört: in einem Krankenhaus, von einer Frau, die in den Geburtswehen lag.
Es hörte nicht auf. Einen Moment lang meldete sich wieder der pochende Verstand. So etwas könnte ein Mensch nicht lange aushalten. Er müsste sterben, wenn das nicht beendet würde. Dann begriff der Verstand, dass er endgültig verloren hatte.
Ackers Gesicht war nass. Er hatte zu weinen begonnen. Er spürte, wie die Tränen auf der Haut trockneten, und hatte überhaupt nicht das Bedürfnis, sie abzuwischen. Er wollte ihre Feuchtigkeit so lange wie möglich im Gesicht behalten.
Jetzt kamen Gerüche. Giftige Dämpfe einer ätzenden Flüssigkeit. Sie konnten ihm nichts anhaben. Er bewegte sich darin so sicher wie die Sterne im Weltall.
Jetzt erst hörte er Brigitte Zablonskis Stimme wieder.
«Weißt du, wer du bist?»
Er antwortete ohne zu überlegen aus einem klaren Wissen heraus. «Ja. Ich bin Xu.»
Sie wiederholte seinen Namen. «Xu. Bist du jung oder alt?»
«So etwas gibt es bei uns nicht. Nach unserer Rechnung bin ich noch jung. Nach eurer Rechnung uralt. Wahrscheinlich wäre ich längst tot.»
«Wie alt ist uralt?»
«Wir zählen die Jahre nicht wie ihr.»
«Kannst du es mir trotzdem sagen?»
«Fünf, vielleicht zehn Menschenleben alt.»
«Ein paar hundert Jahre?»
«Ja.»
Durch ihre nüchternen Fragen hatte sich sein Körper beruhigt. Jetzt erst wagte sie, ihn darauf anzusprechen.
«Was war gerade mit dir?»
«Ich habe so etwas noch nie erlebt. Diese Kraft. Und ich spüre alles so genau. Es war das Schönste und Erschreckendste, das ich je erlebt habe. Mein ganzer Körper war so …» Er schluckte. Ihm
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