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Karma Girl

Titel: Karma Girl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanuja Desai Hidier
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schloss die Augen, um mich zu beruhigen. Doch ich sah sie immer noch auf der Innenseite meiner Lider, und plötzlich hatte ich den Impuls, ihr Gesicht zu streicheln und ihr zu sagen, dass alles gut werden würde. Mir dämmerte, dass Gwyn es vielleicht doch nicht immer so einfach hatte. Dass sie vielleicht genauso verwirrt und confused war wie alle anderen auch. Dann dämmerte mir, dass ich vielleicht ziemlich egoistisch war, wenn ich ihr nicht die Hand reichte und ihr zeigte, dass ich für sie da war, egal in welchem Schlamassel wir steckten. Meine Gedanken waren nun schon seit Wochen derart um Karsh gekreist, dass ich ihr nur die kalte Schulter gezeigt hatte, wobei sie doch eigentlich meine offenen Arme nötig gehabt hätte.
    Als ich die Augen öffnete, um den ersten Schritt auf sie zuzugehen, war sie verschwunden. Fast wie ein Geist. Als ob sie nie da gewesen wäre.
    ★ ★ ★
    Der Himmel hatte wieder aufgerissen, als ich zu Hause ankam, und mein Vater begrüßte mich fröhlich zwinkernd an der Tür.
    »Jemand ist hier gewesen, um dich zu besuchen«, sagte er und reichte mir eine durchsichtige Plastikbox. »Er hat die Tupperware deiner Mutter zurückgebracht! Was für ein guter Junge!«
    »Das klingt aber eher nicht so, als wäre er meinetwegen vorbeigekommen«, sagte ich.
    Ich nahm ihm den noch regennassen Behälter ab und fragte mich, warum mein Vater so gut gelaunt war. Dann merkte ich, dass die Box gar nicht leer war. Innen drin schubberte es hin und her, ein Geräusch wie von Sand oder Zucker. Also nahm ich den Deckel ab. In der Box lag ein zusammengefaltetes Blatt Papier, und zwar, so schien es, auf unzähligen rosafarbenen und weißen Perlen.
    Ich fuhr mit den Fingern durch die kleinen, klackernden Teilchen. Doch bei näherer Betrachtung stellte sich heraus, dass es gar keine Perlen waren. Ich nahm ein paar davon in den Mund und tatsächlich: Die Kristalle zerschmolzen auf der Zunge. Es handelte sich um die Zuckerstückchen aus einem Mukhvas-Mix.
    Ich faltete das Blatt auseinander.
    Rani. Ich weiß gar nicht, wie ich dir danken soll. Das war das schönste Geschenk, das ich je bekommen habe.
    Die Fotos hatten ihm also gefallen! Und zwar sehr! Ich horchte auf mein Bauchgefühl und spürte dort ein Wirrwar von lauter Fragen und keinerlei Antworten: War es möglich, dass er -? Aber er war doch nicht etwa? (Oder etwa doch?)
    Ich spürte den Atem meines Vaters im Nacken, als er über meine Schulter linste und mitlas.
    »Was für ein dankbarer Brief!«, strahlte er. »Nicht auszudenken, wenn wir ihm die Samosas bloß in Alufolie mitgegeben hätten.«

35. KAPITEL
Blende
    Ich war jetzt total verwirrt. Und ich überlegte, ob noch die Möglichkeit bestand, mich neben die so verloren dreinblickende Gwyn auf die Bank zu setzen. Eins war mir immerhin klar: dass ich genau das zuallererst tun musste – bei Gwyn zu sein. Also mailte und simste ich ihr einen Tag vor der Flash! – Party und bat um ein AbsolutMegadringendes-Ultra-Chica-Meeting. Sie wollte zwar nicht mehr mit mir reden – aber technisch gesehen, galt dies ja nicht als reden. Ich hatte keine Ahnung, ob sie sich blicken lassen würde, aber ich war mir sicher, dass sie irgendwann einmal nach Hause kommen würde. Schließlich wohnte Karsh ja auch in Jersey.
    Ein »Absolut dringend« war unser nachdrücklichster Code für ein Treffen. Das letzte Mal hatten wir so ein Meeting, als ich zum ersten Mal meine Tage hatte. Diese Treffen fanden nur an einem Ort statt: in dem kleinen Holzhäuschen auf dem Kinderspielplatz. Also band ich mir an diesem Abend ein Sweatshirt um die Hüften, für den Fall, dass ich lange warten musste, und lief zum Spielplatz. Ich bahnte mir den Weg durchs Gestrüpp und lief über knackende Zweige und herabgefallene Eicheln, bis ich vor unserem guten alten Häuschen stand.
    Ich stieß die morsche Tür auf und trat ein. Starker Modergeruch verschlug mir fast den Atem und unzählige Spinnweben schienen mich mit ihren unsichtbaren Fäden einfangen zu wollen. Das Häuschen war viel kleiner, als ich es in Erinnerung hatte. Von außen wirkte es wohl immer etwa gleich groß, aber als wir noch kleine Mädchen waren und drinnen Prinzessinnen spielten, ragten für uns die Wände so hoch auf wie die des Taj Mahal.
    Ich konnte mich nicht an das letzte Mal erinnern, als wir hier gewesen waren. Ich konnte mich auch nicht daran erinnern, was wir gespielt hatten.
    Man konnte tatsächlich nicht zweimal in denselben Fluss steigen. Meine Mutter hatte wie immer

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