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Karma Girl

Titel: Karma Girl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanuja Desai Hidier
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hat Tag und Nacht geschuftet, um uns ein Auskommen zu garantieren. Und meine Eltern – mit denen habe ich die ersten Jahre hier gar nicht sprechen können, weil sie kein Telefon hatten. Das erste Mal, als ich wieder mit ihnen gesprochen habe, war, als wir sie nach sechs Jahren in Indien besucht haben. Wenn ich heute daran denke, kann ich mir das überhaupt nicht mehr vorstellen. Allein der Gedanke, dass ich sechs Jahre lang nicht mit dir reden könnte … nein, das würde ich nie zulassen.«
    »Aber vorher in Indien – warum hast du mit dem Tanzen aufgehört? Radha hat gesagt, dass -«
    »Sie haben's mir verboten. Na ja, sie haben mir nicht direkt die Pistole auf die Brust gesetzt, aber sie meinten, es wäre nicht besonders klug. Was wäre, wenn ich nicht heiraten würde? Wovon würde ich dann leben? Und ich musste ein gutes Beispiel für meine Schwester sein, das war einfach so. Ich musste vernünftig sein.«
    »Sogar Dadaji?«
    Sie starrte stur geradeaus, als würde sie alles genau vor sich auf dem flimmernden Bildschirm sehen.
    »Er war als Vater ganz anders als als Großvater, Dimple. Obwohl er immer das Beste für uns wollte, genau wie für dich.«
    Ich konnte es nicht fassen. Das, was er als das Beste für meine Mutter ansah, war vollkommen verkehrt, und das, was er als gut für mich ansah, war absolut richtig. Vielleicht brachte das fortschreitende Alter ja doch eine gewisse Weisheit mit sich. Mir fiel Gwyns Mutter ein. Na gut, vielleicht nicht bei jedem.
    »Das ist total schräg – wenn ich mir überlege, wie sehr er meinen Traum, eine Fotografin zu werden, unterstützt hat«, sagte ich. »Ja, diesen Traum gewissermaßen sogar initiiert hat.«
    Jetzt drehte sie sich zu mir um.
    »Wie meinst du das, initiiert?«
    Erst dachte ich, sie mache Witze. Dann dämmerte mir, dass sie wirklich keine Ahnung hatte. Natürlich hatte sie keine Ahnung, wie sollte sie auch: Ich hatte immer fälschlicherweise angenommen, dass sie mich ohnehin nicht verstehen würde, dass sie überhaupt keine künstlerische Ader hätte. Deshalb hatte ich ihr nie davon erzählt. Ich bedeutete ihr zu warten und ging in mein Zimmer. Ich holte Kavitas Fotoalbum unter der Matratze hervor und lief wieder nach unten.
    Meine Mutter sah mich mit fragendem Blick an und nahm es in die Hand. Schweigend blätterte sie eine Seite nach der anderen um. Und dann begann sie, lautlos zu weinen.
    »Oh, nein, Mama, das wollte ich nicht«, flüsterte ich und streichelte ihr über die Wange. »Ich wollte dich nicht traurig machen.«
    »Das sind so schöne Fotos«, sagte sie unter Tränen. »Warum hast du mir die nie gezeigt?«
    »Ich weiß auch nicht. Wahrscheinlich dachte ich, dass …«
    »Ich das nicht verstehen würde.«
    Ich nickte und wünschte mir gleichzeitig, nicht nicken zu müssen.
    »Dimple, es tut mir so Leid. Mein Beta, meine Tochter. Ich weiß nicht, was ich getan habe, dass du so denkst, aber es stimmt wohl, du hast immer so angespannt gewirkt, vor allem in letzter Zeit. Wahrscheinlich habe ich kräftig daran mitgearbeitet, dass sich die Geschichte wiederholt – obwohl, wenn ich mir die Fotos so ansehe, bin ich mir gar nicht so sicher, ob ich die Geschichte überhaupt kenne.«
    Sie strich mit dem Finger über die untere Kante einer Seite, so als wolle sie sie von Staub befreien, der gar nicht da war.
    »Es ist so seltsam, unser Haus zu sehen, unsere Freunde, dich, mich. Es wirkt ganz anders, als ich es immer wahrgenommen habe. Als ob unsere Geschichte neu geschrieben würde.«
    Sie blätterte weiter.
    »Deshalb ist dir deine Verdunkelungskammer also so wichtig.«
    »Ja, genau. Wenn ich da drin bin und Fotos entwickle, gibt es keinen anderen Ort auf der Welt, an dem ich lieber wäre.«
    »Wahrscheinlich ist das das gleiche Gefühl, das ich beim Tanzen hatte«, sagte sie leise. »Vielleicht sind wir zwei gar nicht so verschieden, Dimple. Sogar was die Liebe angeht – ich habe mich in einen Mann aus niederer Kaste verliebt, und du gehst mit … sagen wir mal, kleinen Rockern aus. Und wenn ich's mir so überlege, habe ich wohl versucht, deinen Traum zu zerstören, so wie mir meine Eltern meinen Traum ausgeredet haben.«
    Sie klappte das Album langsam zu.
    »Was für ein seltsamer Sommer das bis jetzt war«, sagte sie und nahm meine Hand. »Ich muss gestehen, dass es ziemlich hart für mich war, Radha nach so langer Zeit wiederzusehen. Sie erinnert mich an all die Wege, die ich nicht eingeschlagen habe, an all die Dinge, mit denen ich nach meiner

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