Karma Girl
Heirat aufgehört habe. All die Dinge, für die es jetzt zu spät ist.«
»Mama, es ist nie zu spät. Das hast du gerade selbst gesagt. Du hast gesagt, dass man Geschichte neu schreiben kann.«
»Leichter gesagt als getan, Dimple«, seufzte sie.
Doch dann hatte ich eine Idee.
»Tust du mir einen Gefallen?«, sagte ich. »Komm bitte mal mit.«
Ich glaube, sie hatte keine Ahnung, was ich vorhatte, als ich einen neuen Film in Chica Tikka einlegte. Selbst als ich sie ins Arbeitszimmer führte noch nicht. Doch als ich die große Truhe öffnete und sie das Glockengebimmel hörte, während ich meine Hände in das Meer aus Seide tauchte, schien es ihr zu dämmern.
»Oh nein … Ich kann unmöglich …«
Aber ich reichte ihr schon die ersten Kleidungsstücke.
»Die Choli, die wird mir doch nie …«
»Dann mach sie eben nicht ganz zu.«
»Und der Pallu, und das hier … das passt doch nie.«
Doch ich ließ mich nicht beirren.
»Mama, diese Sachen passen immer. Das sind im Grunde nur Stoffbahnen, da gibt's gar keine Größe!«
Jetzt hatte sie keine Entschuldigung mehr. Und als sie das endlich begriff, strahlten ihre Augen plötzlich. Sie fuhr sachte mit den Händen über den Stoff und alle Traurigkeit schien verflogen. Dann nahm sie die Kleidungsstücke und hielt sie sich an.
»Okay, ich mach's – für dich!«, seufzte sie dramatisch. In Wahrheit sah ich's ihren nervösen Fingern an, dass sie es gar nicht mehr abwarten konnte. »Aber nur weil du so starrköpfig bist.«
»Genauso wie eine gewisse andere Kschatrija, die ich kenne«, sagte ich. »Und ich bin immerhin nur eine halbe Kschatrija!«
Darüber musste sie schmunzeln.
Ich wartete.
Als sie wieder auftauchte, sah sie wie ein Traumwesen aus.
Die Choli spannte vorne ein bisschen, saß aber sonst tadellos, dazu der tieflilafarbene Sari mit den goldenen Stickereien, außerdem Ohrringe, die ihr fast bis auf die Schultern reichten, Perlenketten als Halsschmuck, goldene Armreifen an den Handgelenken und eine schwere Hüftkette, die sich an ihre Taille schmiegte. Sie war barfuß und an den Knöcheln trug sie kleine, mit winzigen Glöckchen verzierte Kettchen. Sie hatte sogar ein biss chen Lippenstift aufgelegt.
Sie beugte sich nach vorn, um den Boden zu berühren – das war als vorweggenommene Entschuldigung an die Götter gedacht, dafür dass sie gleich den Boden treten würde. Als sie sich wieder aufrichtete – das Gewicht auf dem etwas nach vorn gestellten, in schwarze Leggings gehüllten Bein, das andere weit nach hinten gestreckt –, schien es, als würde sie zwischen ihren beringten Händen einen unsichtbaren Speer halten (Durga tötet den Dämon, erklärte sie, die geballte Kraft der Götter in ihren Fäusten). Nun war sie ganz das tanzende Mädchen von früher, das wieder zum Leben erwachte.
»Eins … zwei … cheese !«
Klick.
Und es war definitiv nicht zu spät.
34. KAPITEL
Zoom
An dem Tag, als ich meinen richtigen Führerschein ausgehändigt bekam (und neben mir kein Erziehungsberechtigter mehr sitzen musste, wie bisher), belohnten mich meine Eltern trotz aller Ängste damit, dass ich bis zum Abend frei über das Auto verfügen durfte. Mein erster Impuls war – wie konnte es anders sein –, rüber zu Gwyn zu fahren und sie zu einer coolen Spazierfahrt abzuholen. Doch dann erinnerte ich mich daran, dass das ja leider nicht ging. Es wäre so viel schöner gewesen, die Freude mit ihr zu teilen.
Ich hatte Gwyn nun schon eine ganze Zeit lang nicht mehr gesehen. Praktisch über Nacht hatten sich Kilo meter zwischen unseren Häusern aufgetan, eine riesige Distanz, die noch vor kurzem ein Katzensprung gewesen war. Ich hatte mich seit unserem Streit nicht mehr in die Sackgasse hineingetraut, in der sie wohnte. Es hätte zu sehr wehgetan, und ich hätte keine Ahnung gehabt, was ich sagen sollte, wenn sie mir begegnet wäre. Im Übrigen bezweifelte ich ohnehin, dass sie viel zu Hause war. Denn je näher die Flash! – Party rückte, so stellte ich mir vor, umso mehr näherte sie sich auch Karsh, und zwar aus weit mehr als nur aus organisatorischen Grün den.
Und trotzdem war es ziemlich hart, dass wir uns aus dem Weg gehen mussten. Schließlich wussten wir immer noch so viel voneinander. Zum Beispiel wusste ich genau, was sie an einem Tag wie diesem, an dem es eventuell regnen könnte, anhatte: die Haare zu kleinen Zöpfen geflochten, damit sie bei Regen nicht so fisselig würden; Sweatshirt; wasserfeste Kunstlederhose; keine Wimperntusche.
Ich
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