Karma Girl
Luft verloren und hingen lustlos von den Krepppapierbahnen herab, die quer durchs Zimmer gespannt waren. Meine Mutter stand am Herd und rührte in einem Topf. Dem süßen Duft nach zu urteilen, handelte es sich um Kheer – mein indisches Lieblingsdessert, wahrscheinlich weil es so amerikanisch war: Reispudding mit Safran und Kardamom, obendrauf Pistazien.
»Guten Morgen, Mama«, sagte ich. Ihre Haltung versteifte sich, aber sie drehte sich nicht um.
Mein Vater stand neben ihr und betete zu Saraswati. Das war meine Göttin, also die Göttin, an die er Gebete für mich richtete.
Ich setzte mich an den Tisch. Die Sonne schien ins Zimmer, sodass die bunt eingepackten Geschenke auf dem Tisch nur so glitzerten, und schon vom bloßen Hingucken allein schämte ich mich. Mein Vater stand immer noch vor der Saraswati-Statue. Bildete ich mir das nur ein oder betete er viel länger als sonst? Das machte mich ziemlich nervös.
Ich kann mich nicht daran erinnern, dass mein Vater jemals gebetet hat, als ich noch klein war, aber irgendwann sind urplötzlich all diese Götter in unserem Haus aufgetaucht: allein in der Küche die Krishna-Statue aus Elfenbein, ein leuchtend orangefarbener, elefantenköpfiger Ganesha, Gott des Wohlstands und der Fruchtbarkeit, und schließlich Saraswati, Göttin der Weisheit und der Musik, die fröhlich auf ihrer Veena spielt. Meine Mutter dagegen hat ungefähr zur selben Zeit, als mein Vater damit anfing, mit dem Beten aufgehört. Es schien fast so, als würden sie sich abwechseln, nach dem Motto: Du übernimmst die Neunziger und dann bin ich dran.
Endlich, nach einer halben Ewigkeit, machte mein Vater einen Schritt zur Seite, um zu Ganesha zu beten, der über den Reispudding wachte. Dies war die Statue, zu der er für unsere nächsten Verwandten betete, etwa Sangita und Kavita oder Ketan Kaka, der in Kalifornien lebte und ein Motel an der Route 1 führte, das größtenteils von HarleyDavidson-Rockern und Urlaubern bevölkert wurde.
»Guten Morgen, Mama«, unternahm ich einen erneuten Versuch.
»Morgen? In ein paar Stunden ist deine Cousine da, um mit uns zu Abend zu essen, und du nennst das Morgen? Wo lebst du denn, in L.A.?«
Die Tatsache, dass Kavita uns besuchen würde, warf mich komplett um. Na super – nun konnten mich meine Eltern mit einer weiteren Hindi, Gujarati und Marathi sprechenden Studentin vergleichen. Und noch besser, mich gleichzeitig mit Sangita messen – die, und da war ich mir sicher, im Geiste anwesend sein würde –, um schnell aufzulisten, wie man's richtig und wie man's falsch macht (dreimal darf man raten, wer für welche Seite stehen würde) in der Disziplin Wie man seine Tochter mit einem indischen Traumbräutigam verheiratet .
»Danke für die Luftballons«, sagte ich müde.
»Wir dachten, wir würden dich überraschen, wenn du von deiner Pyjama – Party nach Hause kämst«, sagte meine Mutter. »Aber ich glaube, es waren eher wir, die überrascht wurden.«
Mein Vater war wieder vor Saraswati getreten und schien noch eine zweite Runde vor den Göttern machen zu wollen. Mann, mir stand wirklich etwas bevor – schließlich war er für gewöhnlich ein sehr zielstrebiger Mensch und machte sonst nie zwei Runden. Ich holte mir ein Glas Wasser und setzte mich an den Tisch.
Meine Eltern bildeten nach wie vor eine regelrechte Wand, indem sie mir ihre Rücken zukehrten. Ich wünschte, sie würden mich wenigstens anschauen. Das war ja wirklich grausam.
»Ram sei Dank, dass Kavita zu Besuch kommt«, fuhr der Hinterkopf meiner Mutter fort. »Es reicht wirklich mit deinen halbseidenen Freundschaften. Ich hatte eigentlich eine bessere Meinung von Gwyn.«
»Es ist nicht Gwyns Schuld, Mama. Es ist ja nicht so, dass sie mich zum Trinken gezwungen und mir das Zeug mit einem Trichter eingeflößt hat.«
»Warum sollte denn jemand so etwas machen wollen«, rief meine Mutter entgeistert.
»Damit noch mehr Alkohol noch schneller reingeht«, erklärte ich, doch sobald ich das gesagt hatte, wurde mir klar, dass ich mich damit nur noch tiefer reingeritten hatte.
»Oh Bhagwan!«, rief meine Mutter, zog sich einen Stuhl heran und ließ sich halb ohnmächtig darauf nieder. »Meine Tochter ist eine Alkoholikerin!«
»Beruhige dich, Schatz«, sagte mein Vater, während er einen Stuhl neben ihr aufbaute und sie umarmte. »Wir werden das schon schaffen. Und es gibt Organisationen, die einem dabei helfen können, wie die Anormalen Alkoholiker.«
War ich im falschen Film? Meine
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