Karma Girl
hindurchzuschlüpfen, und hielt sie gerade noch mit einer Hand fest, bevor sie die kleine Glocke im Flur berühren konnte. Dann lief ich auf Zehenspitzen durch die Küche, die von eigenartigen, leicht bedrohlich aussehenden Schatten erfüllt war. Ich muss immer noch ziemlich mitgenommen gewesen sein, denn ich konnte mir überhaupt nicht erklären, zu welchen Gegenständen diese Schatten gehörten. Während ich durch das Zimmer eierte, begleiteten sie mich auf Schritt und Tritt, schwebten auf und ab, und einmal hatte ich sogar das Gefühl, einer von ihnen reibe seine runde Schulter an meinem heißen Rücken.
Ich ließ die lose vierte Treppenstufe, die immer so laut knarzt, aus und begab mich auf den ach so romantischen Weg Richtung Kellertoilette, wo ich ein weiteres, ganz besonders schönes Nacho-Gebet an den Gott der Porzellanschüsseln richtete. Wenigstens glaubte ich, dass es Nachos waren – andererseits konnte ich mir überhaupt nicht erklären, warum überhaupt noch etwas in meinem Magen drin war.
Spülen oder nicht spülen? Das war hier die Frage. Spülte ich nicht, so würde ich ziemlich spektakuläres Beweismaterial in der Schüssel zurücklassen, das man wunderbar im Labor auf Spuren von Alkohol testen lassen konnte. Spülte ich, so riskierte ich, dass meine Mutter aufwachte und denken könnte, es handele sich um Einbrecher. Andererseits war das Schnarchen meines Vaters bestimmt lauter als das bisschen Rumpeln der Klospülung. Also drückte ich auf den Knopf.
Das Rauschen dröhnte nach meinem Empfinden lauter als die Niagarafälle. Es muss wirklich ohrenbetäubend gewesen sein, denn ich hörte weder das Knarzen der vierten Treppenstufe noch das leichte Quietschen der Tür. Immerhin bemerkte ich, dass das Licht anging. Als ich mich umdrehte, stand meine Mutter in der Tür. Sie starrte mich mit einer Miene an, die ich noch nie bei ihr gesehen hatte, und einen Augenblick lang dachte ich, ich würde träumen, weil sie einfach überhaupt nicht nach ihr aussah.
In diesem Moment begriff ich, dass ich diese Nacht eigentlich gar nicht zu Hause sein sollte. So viel zum Anflug von Geistesschärfe. Scheibenwischer, nun blühte mir was.
Doch es kam noch viel schlimmer.
»Herzlichen Glückwunsch, Dimple«, sagte meine Mutter mit einer vollkommen teilnahmslosen Stimme. Dann machte sie kehrt und ging wieder weg. Ich hörte, wie sie die Treppe hinauflief, dann hörte ich, wie oben die Tür zugemacht wurde.
Da wusste ich, was die Miene in ihrem Gesicht ausgedrückt hatte: Enttäuschung.
Als ich oben im nun beleuchteten Flur stand, erkannte ich, woher all die beweglichen Schatten in der Küche gekommen waren. Der ganze Raum war von oben bis unten mit roten, rosafarbenen und orangefarbenen Luftballons geschmückt. Über den Pflanzen hing sogar Lametta. Und auf dem Tisch lagen stapelweise Pakete, große und kleine, in buntes Papier eingepackt und mit goldenen Schleifchen versehen. Bei einem der Päckchen konnte ich durch eine kleine, offene Ecke das vertraute Logo samt Grinsegesicht vom Fotogeschäft erkennen.
Ich spürte, wie etwas in meinem Hals aufstieg, aber diesmal handelte es sich nicht um etwas, was rauskommen würde, selbst wenn ich nachhelfen, ja selbst wenn ich mich bis zur Bewusstlosigkeit betrinken würde. Es bestand aus Tränen und Scham und Leben und es war mein Herz. Ich blickte zu Saraswati auf der Anrichte, aber sie war im Schatten verborgen. Krishna auch. Sogar Ganesha. Ich sah auf die Küchenuhr. 00:01 Uhr.
Ich war siebzehn.
7. KAPITE L
Ein verpatzter Geburtstag
Wenn man denkt, es ist schon schlimm, dann kommt es meistens noch schlimmer. Hatte ich gedacht, mir war es in der Nacht richtig schlecht gegangen, schien mir das, verglichen mit dem Aufwachen, das reinste Picknick gewesen zu sein. Eine Horde Bauarbeiter arbeitete in meinem Kopf und hinter meinem rechten Auge hämmerte ein grooviger Rhythmus. Ich duschte sehr, sehr lange, trank bestimmt einen ganzen Liter Wasser aus der Brause und putzte mir mehrmals die Zähne. Aber der schlechte Geschmack im Mund wollte einfach nicht verschwinden.
Nie wieder würde ich Alkohol trinken.
Als ich schließlich mein Zimmer verließ, wummerte es in meinem Kopf derart laut, dass ich meinte, jeder müsse es hören, totenstill wie das Haus war. Mein Herz schien immer noch fest in meinem Hals verankert zu sein und in diesem Zustand betrat ich die Küche.
Die Party war nicht nur schon vorbei – sie hatte nie begonnen! Die Ballons hatten bereits allesamt ihre
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