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Karma Girl

Titel: Karma Girl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanuja Desai Hidier
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pulte sich meine Mutter blitzschnell ihr Bindi von der Stirn und klebte es auf meine. Als es kurz darauf zum zweiten Mal klingelte, legte sie mir ruck, zuck, und ohne dass ich mich dagegen wehren konnte, eine Dupatta um die Schultern. Und kurz nach dem dritten Klingeln brachte mein Vater die Gäste bereits in den Flur, sodass ich überhaupt nichts mehr ausrichten konnte. Vor der Tür hörte man eine ziemlich dunkle, rauchige Frauenstimme.
    »Heiliger Strohsack, toll, dich endlich mal wiederzusehen, Rohitbhai! Ein bisschen breiter um die Hüften bist du geworden, alter Junge, aber immer noch zum Verlieben! Wie lange ist es jetzt schon her? Nein, sag's mir besser nicht!«
    Leider konnte ich nicht verstehen, was mein Vater auf diese ziemlich direkte Begrüßung antwortete. Dann sah ich einen Schatten im Flur auftauchen.
    Und herein kam – der indische Junge.
    Meine Mutter stürzte wie wild auf ihn zu, um ihn zu begrüßen, und einen Augenblick lang hatte ich die Befürchtung, sie würde ihn zu Boden reißen und ihm das Versprechen abverlangen, uns nie wieder zu verlassen. Aber im letzten Moment beherrschte sie sich, bremste ab und reichte ihm die Hand.
    »Du musst Karsh sein! Ich freue mich ja so, dich kennen zu lernen!«
    Und er – man muss sich das mal vorstellen! – legte seine Hände vor der Brust zusammen und sagte mit leichtem Akzent:
    »Namaste, Ji.«
    Hilfe! Das war so weit von einem lässigen »Was läuft« entfernt, wie es überhaupt nur ging.
    Er war relativ groß für einen indischen Jungen, aber durchschnittlich für einen Amerikaner. Er trug eine Stoffhose (mit Bügelfalten!) und ein weites weißes Hemd. Durchschnittliche Größe, durchschnittliches Gewicht, durchschnittliches Aussehen (abgesehen von seinen buschigen, tief sitzenden Augenbrauen), durchschnittliche Klamotten. Okay, die roten Nikes waren nicht völlig uncool – aber ich gelangte schnell zu der Überzeugung, dass hier nur jemand auf Krampf versuchte, hip zu sein.
    Daneben tauchte seine Mutter auf, eine Frau in Khakis mit rundlichem Gesicht und kurzen schwarzen Haaren, die schon von ein paar grauen Strähnen durchsetzt waren. Sie musterte mich.
    »Dimple, ich möchte dir Radha vorstellen«, sagte meine Mutter. »Radha, das ist unsere Tochter Dimple.«
    Ich reichte ihr betont auffällig die Hand, um mich von diesem Namaste-Theater ihres Sohnes abzuheben. Ihr Händedruck war fest wie der eines Bauarbeiters.
    »Dimple, wunderbar dich kennen zu lernen«, sagte sie mit einem breiten Lächeln. »Das ist mein Sohn Karsh.«
    »Hallo«, sagte ich und vergrub demonstrativ meine Hände in den Hosentaschen. Karsh hatte allerdings seine Hand bereits ausgestreckt. Sie hing zunächst hilflos in der Luft und fand dann den Weg zurück in die Hosentasche, wo sie sich tief unten vergrub.
    »Dimple, willst du die beiden nicht hereinbitten?«, fragte meine Mutter, was etwas seltsam war, wenn man bedachte, dass wir alle bereits im Wohnzimmer standen.
    »Nun, hereinspaziert«, sagte ich.
    »Tolle Bude«, sagte Radha anerkennend.
    »Kommt nur herein«, wiederholte mein Vater. »Fühlt euch wie zu Hause.«
    Meine Eltern setzten sich aufs Sofa, Radha und ich auf die kleine Couch gegenüber. Karsh schien im Begriff, mit dem Klavierhocker vorlieb zu nehmen, aber das war mit meiner Mutter nicht zu machen. Flugs wurde er zwischen meinen Eltern platziert. Man hätte es nicht besser arrangieren können: Hier saß ich also neben meiner zukünftigen Schwiegermutter, dort saß er zwischen seinen zukünftigen Schwiegereltern. Und wir beide saßen uns direkt gegenüber – einfach perfekt.
    Für einen kurzen Augenblick herrschte Stille im Raum, sodass meine Mutter sofort nervös aufsprang.
    »Esst doch nur, esst!«, rief sie, wuselte um den Tisch herum und tat uns auf.
    »Setz dich doch wieder, Shilps«, sagte Radha. »Wir sind keine Invaliden, wir können uns selbst bedienen.«
    Meine Mutter pflanzte sich wieder auf das Sofa und blickte – wie immer, wenn sie still war – ein bisschen gequält drein. Nervös zappelten ihre Hände auf dem Schoß herum, als würde sie stricken.
    »Na, so ist's besser«, sagte Radha. »So kann ich dich endlich mal anschauen.«
    Sie reckte den Kopf und musterte meine Mutter.
    »Hast du etwas mit deinen Haaren gemacht?«
    »Nein«, sagte meine Mutter ein bisschen zu schnell.
    »Es sieht so … so rötlich aus.«
    »Das war immer schon so.«
    »Ist mir zu Hause nie aufgefallen.«
    »Die amerikanische Sonne bringt den Ton immer im Sommer

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