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Karma Girl

Titel: Karma Girl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanuja Desai Hidier
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aber da musste ich durch, wenn ich meinen Standpunkt deutlich machen wollte – worum auch immer es sich dabei handelte.
    In der gigantischen Eingangshalle hantierte Gwyn in einer Kommode herum und förderte plötzlich drei Schnapsgläser und eine Flasche Tia Maria zutage.
    »Kleiner Nachttrunk gefällig?«
    Wer würde dazu Nein sagen? Also stießen wir an.
    »Soll ich dir das Haus zeigen, Karsh?«, sagte Gwyn schließlich und fuhr mit der Hand lasziv übers Treppengeländer. »Dimple hat das alles schon eine Million Mal gesehen, stimmt's, Dimps? Wenn du übrigens fernsehen möchtest oder so, fühl dich ganz wie zu Hause.«
    Hallo! Ging das überhaupt noch als Anspielung durch oder war das eher ein Faustschlag mitten ins Gesicht?
    »Ach komm, was sind schon eine Million und ein Mal?«, sagte Karsh.
    »Ein Mal zu viel«, antwortete Gwyn und lächelte ihn an.
    Ich setzte mich auf die vorletzte Stufe und stellte mein Glas neben mich.
    »Ein Mal zu viel«, sagte ich. »Dann geht mal schön, viel Spaß. Ich bleib hier kurz sitzen.«
    Noch bevor ich den letzten Satz beendet hatte, hatte Gwyn bereits die Flasche am Fuße der Treppe abgestellt und schmachtend ihren Arm nach Karshs Hand ausgestreckt. Ehe ich mich versah, führte sie ihn die Treppe hinauf, vorbei an all den gerahmten Fotos ihrer Kindheit, die sich über die ganze Wand erstreckten – ja, mit denen das ganze Haus übersät war – und die den Eindruck erweckten, als würde es niemals regnen in Springfield, New Jersey.
    Die beiden waren jetzt oben. Während sich ihre Stimmen in den riesigen Fluren verloren, die mir als Kind immer wie ein geheimnisvolles Labyrinth vorgekommen waren, lehnte ich mich an das Geländer, das ich schon so viele Male heruntergerutscht war, und blickte auf das Foto von Gwyn, das direkt neben mir hing. Auch diese Fotos hatte ich schon eine Million Mal gesehen. So häufig, dass ich sie eigentlich gar nicht mehr wahrnahm. Aber eine Million und ein Mal waren eine ganz neue Erfahrung, und als ich das Foto betrachtete, war es, als würde ich Gwyn gar nicht kennen. Oder als hätte ich sie einmal vor langer, langer Zeit gekannt und sie in all den Jahren vergessen.
    »Das ist ja wie ein richtiges Schloss«, hörte ich Karsh sagen. Die zwei waren wieder vor mir aufgetaucht – sie mussten die andere Treppe genommen haben. Karsh setzte sich auf die Stufe hinter mir und Gwyn kuschelte sich ruck, zuck daneben.
    »Unglaublich, die vielen Fotos von dir überall, Gwyn«, sagte Karsh.
    »Unglaublich?«, sagte Gwyn beinahe entrüstet. Sie reichte uns die Gläser und schenkte uns nach.
    »Ich kann vollkommen verstehen, warum jemand ganz viele Bilder von dir macht, so meine ich das nicht«, erklärte Karsh. »Aber – entschuldige, wenn ich so offen bin, es ist einfach seltsam – all diese Fotos von dir allein, als Kind, das älter wird. Und plötzlich – paff! – keine Fotos mehr, als wärst du mit der Pubertät verschwunden.«
    »Na ja, in gewissem Sinne war's auch so. Jedenfalls war das die Zeit, in der mein Vater verschwunden ist. Ich schätze mal, als ich älter wurde, war ich nicht mehr schön oder unterhaltsam genug, um seine Aufmerksamkeit zu fesseln.«
    Sie trank ihr Glas in einem Zug aus.
    »Machst du Witze, Gwyn?«, sagte ich. »Wenn, dann bist du nur noch schöner geworden!«
    »Hab auch dran gearbeitet, glaub's mir. Ich hab viel drüber nachgedacht und alles geplant, bevor ich mich nach Venice Beach aufgemacht hab, um ihn zu finden. Aber dort stellte sich das als keine ganz so gute Idee heraus: Es schien, als würden sich alle in mich verlieben, außer er. Ich meine jetzt seine Freunde. Und ihn schien das ziemlich zu irritieren, er beschuldigte mich sogar, dass ich ihm seine Freunde ausspannen würde. Ja doch, na klar! Ich meine, wie alt war ich, zwölf, oder? Als ob ich allein durchs Land gefahren wäre, um ihn zu suchen – nur um dann seine Kumpels zu verführen.«
    Sie legte den Kopf in den Nacken und stürzte noch ein Glas hinunter. Dann nickte sie uns aufmunternd zu, wir sollten es ihr gleichtun.
    »Du bist mit zwölf Jahren ganz allein quer durchs Land gereist?«, fragte Karsh ungläubig.
    »Na ja, ich hab zu diesem Zeitpunkt ja sogar schon die Konten meiner Mutter verwaltet«, sagte Gwyn und starrte auf ihr Foto, als würde sie zu dem kleinen Mädchen sprechen, das sie einmal war. »Also hab ich ein bisschen mehr zu meinen Gunsten überwiesen, ihr gesagt, dass ich ihn wieder nach Hause bringen würde, und bin in den Zug

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