Karma Girl
besonderen Person bedurft, damit sie sie überhaupt erzählte – und das war nicht ich! Während ich Karsh beobachtete, wie er Gwyn über den Kopf strich, einen Arm um sie gelegt, fühlte ich mich wie ein Versager und schwor, es von nun an besser zu machen und eine Freundin zu werden, der man alles anvertrauen konnte. Mir war bisher nicht klar, dass ich in dieser Hinsicht einiges zu wünschen übrig ließ.
»Ach ja«, seufzte Gwyn nun, »wenigstens deine Familie ist perfekt, Dimple.«
»Perfekt?«, fragte ich beinahe abwehrend.
»Deine Eltern sind ziemlich cool«, sagte Karsh. »Das muss dir nicht peinlich sein.«
»Ist es mir auch gar nicht – aber wir sind nun mal nicht perfekt. Wenigstens bin ich nicht perfekt.«
»Ach, komm, hör auf«, sagte Gwyn. »Du bist gut in der Schule, hast 'ne tolle Cousine, bist 'ne talentierte Fotografin … Und du hast Eltern, die sich lieb haben – und die dich lieb haben. Das ist ziemlich perfekt, wenn du mich fragst, warum beschwerst du dich? Du könntest diese Liebe nutzen, rausgehen und die Welt erobern!«
»Das ist nicht fair, Gwyn«, sagte Karsh. »Du kannst auch einen Mangel an Aufmerksamkeit nutzen, rausgehen und die Welt erobern. Man kann alles nutzen. Ich wage sogar zu sagen, dass dir das auch gelingt.«
»Meinst du?«, sagte Gwyn und betrachtete wieder ihr Foto an der Wand.
»Lasst uns mal 'n bisschen Musik auflegen«, schlug Karsh vor. »Ich glaube, wir können alle 'ne Pause gebrauchen.«
Also gingen wir ins Zimmer von Gwyns Mutter, weil dort die Anlage stand. Zwei Dinge unterschieden diesen Raum von allen übrigen: Es war das einzige Zimmer im ganzen Haus, in dem kein Foto von Gwyn oder überhaupt ein Foto hing. Und es war vollkommen weiß, vom Teppich über die Möbel und Lampenschirme bis zum Bettbezug – alles weiß!
Karsh setzte sich im Schneidersitz auf den Fußboden.
»Mann«, sagte er kopfschüttelnd, »das sieht ja seltsam aus. Beinahe wie unbewohnt.«
»Ist es gewissermaßen auch im Moment«, sagte Gwyn und öffnete den Schrank, in dem die Stereoanlage und die Schallplatten standen.
Karsh überflog die Plattensammlung.
»Mann, ohne Ende Grateful-Dead-Scheiben! War deine Mutter etwa ein Hippie?«
»Das kann man wohl sagen«, sagte Gwyn.
»Unglaublich! Sag mal, dann muss es doch irgendwo in diesem Haus eine Tüte geben.«
Während er das sagte, drehte er sich zu Gwyn und nickte ihr ganz komisch zu. Gwyn warf ihm ebenfalls einen seltsamen Blick zu; einen Blick, den ich noch nie zuvor bei ihr gesehen hatte, dabei hatte ich schon viele verschiedene Blicke von ihr gesehen.
»Ob wir eine im Haus haben?«, fragte sie langsam.
Das war ja plötzlich eine ziemlich merkwürdige Unterhaltung.
»Vielleicht gibt's da eine«, sagte Karsh lächelnd.
»Oder mehr als eine«, sagte Gwyn. »Möchtest du mal probieren?«
»Zum Teufel, warum nicht«, sagte Karsh. »Ich bin ohnehin schon über meinen toten Punkt hinaus.«
Worüber redeten die beiden bloß? Gwyn öffnete eine Kommodenschublade und holte eine kleine Box hervor. Sie öffnete sie, und ich sah, dass es ein Nähkasten war – mit Nadeln, Fingerhüten, Garnspulen und so weiter. Ich begriff gar nichts: Dies schien mir nicht der richtige Moment für eine Häkel-Session zu sein.
Doch dann nahm sie ganz vorsichtig den Einsatz mit den Spulen heraus und hielt uns die Box entgegen. Eingepackt in einer durchsichtigen Plastiktüte unter ein paar losen Blatt Papier, lag etwas, das aussah wie ein Bündel gemähter Rasen.
»Weißt du, was das ist, Dimple?«
»Sieht aus wie Gras«, sagte ich.
»Ganz genau!«, flötete Gwyn und schien sehr zufrieden mit mir zu sein. »Du überraschst mich doch immer wieder.«
Jetzt hatte ich ziemlichen Bammel, schließlich hatte ich noch nie irgendwelche Drogen probiert und bisher gedacht, dass das auch für Gwyn galt. Was, wenn ihre Mutter uns erwischte? Nun ja, in diesem Fall schien das kein großes Problem zu sein, denn das Dope kam immerhin von ihr (was ich im Übrigen ziemlich beunruhigend fand). Und wenn die Polizei plötzlich vorbeikam? Was, wenn in dem Zeug noch irgendwelche anderen Stoffe – sagen wir: Betäubungsmittel – waren?
Und was Gwyn und Karsh betraf, sah die Sache für mich immer schlechter aus. Sie hatten nicht nur eine Kindheit mit mehr oder weniger allein erziehenden Müttern gemeinsam, es kam auch noch dieses Faible für Gras hinzu. Irgendwie hatte ich das Gefühl, immer weiter hinausgedrängt zu werden, so wie ich heute Abend auf der Tanzfläche
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