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Karma Girl

Titel: Karma Girl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanuja Desai Hidier
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gestiegen.«
    »Gwyn, das hast du mir noch nie erzählt«, sagte ich. Das war es also gewesen, weshalb sie damals für einige Zeit verschwunden war.
    »Da gibt's auch nicht groß was zu erzählen. Ich bin hin, hab mein Bestes versucht und bin wieder nach Hause geschickt worden. Später war's, als wär's nie passiert. Ich weiß nicht mal, warum ich jetzt davon angefangen habe.«
    »Und deine Mutter hat sich keine Sorgen gemacht?«, fragte Karsh leise.
    »Sie wollte ihn ja auch zurück. Und sie wusste, dass sie kein wirklicher Köder war. Ich wäre eigentlich gar nicht gefahren, aber er schickte mir diese Postkarte – ihr wisst schon, die mit Marilyn Monroe, wie ihr der Rock hoch weht. So was hatte ich noch nie gesehen.«
    Natürlich kannte ich das Foto – und die Karte. Gwyn klebte sie schließlich zu jedem neuen Schuljahr innen an meine Spindtür; allerdings hatte ich noch nie die Rückseite mit dem Namen des Absenders gesehen. Ganz zu schweigen davon, dass ich die ganze Zeit über gedacht hatte, es gebe gar keinen Absender: Für mich war es nur eine schöne Postkarte, die einem schönen Mädchen gehörte.
    »Für mich sah es so aus, als würde Marilyn jeden Moment abheben und davonfliegen«, sagte Gwyn. »Und das schien wie eine Art Zeichen zu sein …«
    Sie war den Tränen nahe und starrte mich an. Ich fragte mich absurderweise, ob ich sie zum Weinen gebracht hatte.
    »Aber es sollte nicht sein«, fuhr sie fort. »Ich höre Schreie und kann nicht schlafen, also gehe ich nach un ten. Sie streiten sich. Sie merken nicht mal, dass ich da bin. Er brüllt, dass sie ihm nicht noch eins unterjubeln wird, ein Kind sei genug. Und meine Mutter sagt: Denkst du das wirklich?, nimmt einen Schluck aus der Flasche, hustet und sagt: Keine Sorge, dir wird nichts mehr unter gejubelt . Ein paar Tage später liegt sie im Krankenhaus. Ich weiß, dass irgendwas Schlimmes passiert ist und dass ich irgendwie untergejubelt bin, was ich nicht wirklich verstehe, aber ich nehme an, es bedeutet, dass ich nicht wirklich da bin oder dass meine Existenz das Gegenteil von einem Grund zum Jubeln ist oder so. Ich fange wohl plötzlich an zu schluchzen, denn sie drehen sich um und entdecken mich. Und mein Vater sagt, dass ich toll aus sehe: Beweg dich nicht, bleib so, wie du bist .«
    »Dann hat er dich fotografiert?«, fragte Karsh und nahm mir damit die Worte aus dem Mund.
    »Ja. Aber vielleicht wollte er mich nur aufmuntern, denn er wusste, dass ich für die Kamera immer lächeln würde.«
    Sie lächelte auch jetzt, während sie das sagte.
    »Okay, genug von mir«, erklärte sie mit aufgehellter Miene. »Wie sind denn deine Eltern so, Karsh?«
    »Oh Mann, mir schwindelt noch von dem, was du erzählt hast«, sagte Karsh.
    »Bitte«, wisperte Gwyn, und man sah an ihren zitternden Lippen, dass sie die Tränen zurückhielt.
    »Tja, also bei mir sieht's so aus«, begann Karsh, der jetzt ebenfalls zu spüren schien, dass man etwas sagen musste.
    Dann erzählte er die Geschichte von seiner patenten Mutter und seinem spielsüchtigen Vater.
    »Hat er sich denn wieder ein bisschen gefangen?«, fragte ich.
    »Ich glaube, er ist immer noch ganz unten. Manchmal schreibt er mir und bittet um Geld und eine Zeit lang habe ich ihm auch ein bisschen was geschickt. Ich hab dafür meine Anlage und mein Skateboard verkauft. Aber als es an die Platten ging, wurde es ziemlich hart, denn viele davon hatten mal ihm gehört, und ich hatte sie mitgenommen. Einfach um ein Stück von ihm bei mir zu haben. Nachdem ich die ersten Platten verkauft hatte, fühlte ich mich gar nicht gut. Das ging nicht, und überhaupt merkte ich, dass ich ihm damit im Grunde gar nicht weiterhalf. Also hörte ich auf damit.«
    Deshalb achtete er also so sehr auf seinen Schallplatten-Karton und seine Tasche. Die Platten waren nicht nur sein ganzer DJ-Stolz, sondern erinnerten ihn auch an seinen Vater.
    Das waren unglaublich traurige Geschichten von den beiden! Am liebsten hätte ich sie in den Arm genommen und etwas Tröstendes gesagt. Ich fragte mich, ob meine Eltern Karshs Familienhintergrund kannten. Und Gwyns Story – nun, die tat aus zwei Gründen ziemlich weh. Zum einen, und das war der Hauptgrund, weil sie unglaublich traurig war und ich nichts tun konnte, um sie ungeschehen zu machen. Zum anderen, weil Gwyn mir nie davon erzählt hatte. Es hatte einer Million und eines Besuches in diesem Haus bedurft, um diese Geschichte zu erfahren, und wie's aussah, hatte es außerdem einer ganz

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