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Karma Girl

Titel: Karma Girl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanuja Desai Hidier
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Publikum war ebenfalls größtenteils weiblich.
    Es ging also um südasiatische Identität. Waren etwa all diese Zuhörer hier genauso verwirrt wie ich, was ihre Herkunft anging? Grübelnd musterte ich Reihe für Reihe und sah überall aufmerksame und alles andere als verwirrte Mienen. Bis auf ganz wenige Ausnahmen bestand das Publikum aus Indern, genauer gesagt vor allem aus ABCDs, wie ich vermutete. Wie damals im HotPot fragte ich mich auch diesmal wieder: Wo um alles in der Welt kamen die bloß her? Nun, vermutlich waren es dieselben. Aber merkwürdig war's schon, schließlich traf ich sonst so gut wie keine Inder – und hier waren plötzlich über zweihundert auf einen Schlag versammelt.
    Obwohl wir uns immer noch in der Einleitung befanden, wie ich meinem Programm entnahm, kam ich kaum noch mit. Als dann die ersten Redner das Podium erklommen, wurde es noch schlimmer. Zwar wurden die Reden ausschließlich auf Englisch gehalten, aber sie waren mit lauter mehrsilbigen Wörtern gespickt, die mir in diesem – wenn überhaupt einem – Kontext rein gar nichts sagten. Ich verstand überhaupt nicht mehr, worüber da geredet wurde, war mir aber ziemlich sicher, dass alle anderen es problemlos kapierten. Vielleicht beherrschte ich noch nicht mal die englische Sprache richtig, denn irgendwie war es, als würde eine mir komplett unbekannte Sprache gesprochen. Eine Sprache, von deren Existenz ich bisher lediglich durch Kavita und Sabina und sogar ein bisschen durch Julian und Dylan erfahren hatte: Diaspora, Diskurs und Dialog; Kolonialisierung, kollektives Unbewusstes und Kommunikation; sozialkritisch, semantisch und semiotisch – das waren unter anderem die Begriffe, aus denen diese mir fremde Sprache bestand.
    Gwyn hatte zwar eine interessierte Miene aufgesetzt, aber mir entging nicht, dass ihre Augen unentwegt die Ränge nach Karsh absuchten. Kavita war unterdessen wie gebannt und ließ hin und wieder leise, grunzende Laute vernehmen, um ihrer Zustimmung oder Ablehnung des Gesagten Ausdruck zu verleihen. Auch von vielen ande ren im Publikum hörte man häufig ein bedeutungsvolles Mhm . Von den Rednern wurde immer wieder das Wort südasiatisch benutzt, was sich geografisch gesehen auf Bangladesch, Bhutan, Indien, Pakistan, Nepal, die Male diven und Sri Lanka bezieht.
    Jetzt erklomm Sabina das Rednerpult und berichtete darüber, dass südasiatische Besonderheiten von der westlichen Kultur, insbesondere von den Medien, vereinnahmt werden würden. Auf einmal hörte ich genauer zu, denn seit Sabina aufgestanden war, war Karsh in meinem Blickfeld erschienen. Er hatte direkt hinter ihr gesessen und war nun gut zu sehen. Er saß zurückgelehnt, mit den Armen auf den Stuhllehnen, und blickte interessiert Richtung Podium. Neben ihm saß ein bunt gekleidetes Mädchen, mit einer Frisur, die aussah, als hätte sie Schwimmflügel im Haar: Das musste Shailly sein. Gwyn hatte Karsh offenbar zur selben Zeit wie ich entdeckt; sie jauchzte ganz leise auf und tätschelte mir aufgeregt das Handgelenk. Sie strahlte übers ganze Gesicht und ich konnte nicht anders und strahlte zurück.
    Sabina hatte auf dem Podium Besuch von einer militant aussehenden Frau bekommen, die Upma hieß und mit der sie sich eine hitzige Debatte lieferte. Upma schien der Meinung zu sein, dass der Westen sich grundsätzlich alle südasiatischen kulturellen Errungenschaften Schritt für Schritt zu Eigen machen und sie dadurch entwerten würde. Kavita blickte voller Stolz hinunter zu Sabina, die ihre Position recht gut verteidigte.
    »Oh, sieh mal«, flüsterte Gwyn. »Karsh scheint die Diskussion ziemlich interessant zu finden.«
    »… das beste Beispiel dafür ist«, ergänzte Upma nun, »Madonna während ihrer südasiatischen Phase.«
    »Das ist die Gelegenheit«, flüsterte Gwyn. »Seh ich okay aus?«
    »Du siehst prima aus, Gwyn«, sagte Kavita. »Aber das ist hier eine Konferenz zum Thema Identität und keine Modenschau.«
    »Aber Klamotten sind nun mal ein großer Bestandteil meiner Identität«, sagte Gwyn, hob plötzlich, zu meiner absoluten Verblüffung, die Hand und stand kurz darauf auf.
    »Entschuldigung?!«
    Auf einmal wurde es im Saal mucksmäuschenstill. Alle Welt starrte auf meine blonde, aber indisch gekleidete Sitznachbarin. Oh nein, jetzt würden sie über uns herfallen!
    »Nur eine kleine Sache: Warum redet ihr eigentlich über Madonnas südasiatische Phase?«, begann Gwyn. »Ich meine, hallo, das ist doch wohl schon Ewigkeiten her. Und im

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