Karma Girl
schon mal diese gewagten Absätze vor Augen hatte, sah ich sie mir genauer an: Sie waren verziert mit Münzen verschiedener Währungen, mit kleinen Metall- und Plastikstückchen und winzigen bunten Glasscherben. Als ob Zara einfach so ins Leben hinausspaziert und das alles kleben geblieben wäre. Diese Details waren mir vorher gar nicht aufgefallen. Aber andererseits hatte ich auch noch nie im Damenklo unter eine Kabinentür geguckt, unter der mir die Schuhabsätze und nicht die Spitzen entgegensahen.
Und plötzlich kam mir ein seltsamer Gedanke. Ich musste an Zaras rauchige, recht tiefe Stimme denken, und mir dämmerte da etwas – und ich wünschte, es wäre lieber nicht so. Ich sehnte mich auf einmal nach einer Welt, in der die Dinge so waren, wie sie schienen, denn unversehens war meine völlig auf den Kopf gestellt worden. Aber vielleicht war die Welt ja wirklich so: Oben war unten und unten war oben, wie auf einem Karussell, wo die Erde der Himmel und der Himmel die Erde war.
Diese neue Welt schien überhaupt nicht mehr in den doch recht begrenzten Rahmen meines Suchers zu passen. Ich wusste nicht, ob ich lachen oder weinen sollte, und ich drückte Chica Tikka fest an mich. Deshalb mochte ich so gerne Schwarz-Weiß-Fotos, weil darauf die Dinge klar und verständlich abgebildet wurden. Ich wünschte, in mir drin würde es häufiger so aussehen.
Die Spülung fing an zu rauschen – und ich machte unauffällig die Fliege.
23. KAPITEL
Spice Girls
Kavita und Sabina hatten uns einen Schlüssel für ihre Wohnung gegeben, weil sie für uns noch etwas zu essen besorgen wollten. Also durchstreiften Gwyn und ich nach der Konferenz allein die Wohnung.
Was mir sofort auffiel, waren die unzähligen Bücher. Die ganze Bude war von oben bis unten voll gestopft mit Büchern. Viele schienen Sabina zu gehören, vor allem die ganzen Feministinnenbücher, die sie vermutlich für ihr Studium brauchte und auf deren Buchrücken ungefähr dieselben Worte standen, die die ganze Zeit während der Konferenz gefallen waren. Außerdem gab es mindestens so viele Bücher über Indien wie bei uns zu Hause, viele davon sogar auf Sanskrit.
»Mann«, sagte Gwyn, »die Büchertitel klingen ja alle wie die von der Leseliste aus dem Veranstaltungsprogramm. Haben die denn nichts Lustiges hier? Ich meine, Sabina studiert doch Women and Gender , oder? Warum liegt dann hier keine einzige Elle oder Cosmopolitan ?«
Abgesehen vom Bad und einer kleinen Kochnische, gab es zwei weitere Zimmer: ein komplett rot gestrichenes Zimmer, in dem knapp ein großes Bett Platz hatte, und eine Art Wohnzimmer, dass so winzig war, dass ich mich fragte, wie hier überhaupt eine Person drin wohnen sollte, ganz zu schweigen von zweien. Kein Wunder, dass die New Yorker immer unterwegs waren.
»Das würde bei uns gerade als begehbarer Kleiderschrank durchgehen«, meinte Gwyn. »Wo schläft denn Kavita eigentlich? Auf dem Sofa? Das ist aber nicht sehr bequem.«
»Na ja, Kavita war zuerst in der Wohnung. Dann schläft wohl eher Sabina hier.«
»Hm, so wie ich Sabina bisher kennen gelernt habe, ist es wahrscheinlicher, dass Kavita hier pennt.«
»Auch wieder wahr«, gab ich zu.
»Wo ratzen wir eigentlich?«
»Keine Ahnung. Vielleicht auf dem Fußboden.«
»Auf dem Fußboden?!«, mäkelte Gwyn und zog die Nase kraus. Aber sie schien sich sofort eines Besseren zu besinnen und guckte wieder normal. »Okay, okay, ich werde schon damit fertig.«
Im selben Moment ging die Tür auf und Kavita und Sabina kamen mit Pizzakartons in den Händen herein.
»Zwei extra große Pizzen, wie bestellt!«, rief Kavita. Sie hatte sich eine Baseballmütze verkehrt herum aufgesetzt, was wegen ihres riesigen Haarwusts darunter ziemlich lustig aussah.
»Eine nur mit Käse, für die Vegetarier, die andere mit viel blutigem Fleisch«, konnte sich Sabina mal wieder nicht verkneifen.
★ ★ ★
Wir waren ruck, zuck in unsere Schlafanzüge geschlüpft, saßen im Kreis auf dem Fußboden und mampften Pizza. Sabina hatte eine Flasche Wein aufgemacht, und ich war froh, ein bisschen was trinken zu können, denn die Stimmung war leicht angespannt: Gwyn und Sabina konnten einfach nicht aufhören, von der Konferenz zu erzählen. Von Karsh sprach jedoch niemand; alles drehte sich um Sabinas Vortrag und ihre Diskussion mit Upma.
»Eine intelligente Frau, diese Upma«, sagte Sabina und trank ihr Weinglas in einem Zug aus. »Dieser Dialog, den ich heute mit ihr hatte, war einer der interessantesten,
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