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Karma Girl

Titel: Karma Girl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanuja Desai Hidier
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Unterhemd und Pyjamahosen, noch dazu ohne BH. Ich spielte mit dem Gedanken, schnell durch das Kellerfenster nach oben zu flüchten, kam aber sofort zu der Einsicht, dass ich in diesem Zustand besser hier unten im schummrigen Licht als draußen in der schonungslosen Sommersonne aufgehoben war. Mittlerweile war an eine Flucht ohnehin nicht mehr zu denken, denn es näherten sich Schritte.
    »Dimple?«
    »Äh, ja?«
    Ich öffnete die Tür einen Spaltbreit, schlüpfte hinaus und schloss sie hinter mir. Der Keller war ziemlich dunkel, die einzige Lichtquelle waren die kleinen rechteckigen Kellerfenster, und selbst die waren größtenteils mit wucherndem Gras zugewachsen.
    Karsh stand so dicht vor mir, dass ich sogar den markanten Geruch seines Hemdes riechen konnte. Ich vermied es, ihm in die Augen zu sehen, und konzentrierte mich stattdessen auf seine großen Zehen, die heute in Chappals steckten. Sonst würde er mir womöglich noch meine Gedanken ansehen, die ich gestern Nacht vor dem Einschlafen gehabt hatte.
    »Hallo, du«, sagte er mit sanfter Stimme.
    Ich liebte die Art, wie er das sagte. Als wäre diese Anrede nur für mich bestimmt. Ich fragte mich, ob er wohl Gwyn oder Trilok (Jimmy) Singh oder seinen Informatik-Professor so anredete. Von oben konnte man das Küchengeklapper meiner Mutter hören, das auf einmal etwas lauter geworden war – ein sicheres Indiz dafür, dass sie in Wahrheit oben im Flur stand und lauschte.
    »Hey, ich wollte dich nicht stören. Ich bin nur vorbeigekommen, weil ich hier gestern – dummerweise – in all dem Trubel meine Schuhe vergessen habe.«
    Dummerweise.
    »Oh, ja«, sagte ich und versuchte, möglichst beiläufig zu klingen, obwohl es praktisch unmöglich war, dass in diesem Schummerlicht irgendetwas beiläufig klang. »Ich hab sie gestern Abend noch entdeckt. Ich wollt dich auch schon anrufen. Sie sind …«
    »Ich weiß, Tantchen hat sie mir schon gezeigt.«
    Tantchen. Ich war für ihn also wie eine Cousine.
    »Na ja, du bist offensichtlich ziemlich beschäftigt«, fuhr er fort. »Ich wollt auch nur … also, sie hat gesagt, ich soll ruhig zu dir runtergehen. Ich wollt mich eigentlich nur bedanken.«
    »Dafür, dass ich dir die Schuhe wiedergebe?«
    »Ähm, ja, genau. Ich geh so gerne barfuß, da ist es mir gar nicht aufgefallen.«
    »Kein Thema, gern geschehen.«
    »Okay. Dann … dann sieht man sich?«
    Er rührte sich allerdings nicht vom Fleck.
    »Du entwickelst gerade deine Fotos?«, fragte er.
    »Äh, nein. Ich meine, ja.«
    »Jaja, ich glaub, du hast auch gestern was davon gesagt. Wahrscheinlich stör ich dich nur.«
    »Nee, du störst gar nicht.«
    »Hm, wenn nicht, dann würde ich dir mal liebend gerne bei der Arbeit zusehen. Natürlich nur, wenn's dir nichts ausmacht. Ich rühr auch nichts an, versprochen.«
    Ich wurde plötzlich ganz still und gleichzeitig immer aufgeregter. Doch sobald wir durch die Tür der Dunkelkammer geschlüpft waren und ich sie wieder hinter uns zugemacht hatte, begann ich, dieses Gefühl irgendwie zu mögen.
    »Also, ich bin gerade dabei …«
    Er legte einen Finger auf seinen Mund.
    »Nein, nein, du brauchst nichts zu erklären. Tu einfach so, als wäre ich gar nicht da. Ehrlich. Ich will dich auf keinen Fall stören, ich möchte einfach nur zu sehen.«
    Natürlich war es vollkommen unmöglich, so zu tun, als sei er nicht da. Aber während ich mit meiner Arbeit fortfuhr und die Entwicklungsschalen auffüllte, erst Stoppbad, dann Fixierer, merkte ich, dass mich seine Gegenwart überhaupt nicht störte – ganz im Gegenteil. Irgendwie konzentrierte ich mich viel besser und trotz der Enge ließ er mir genug Freiraum. In der Kammer schien es durch seine Gegenwart sogar viel wärmer zu sein.
    Während ich die eine Schale hin und her wiegte, spürte ich doch beinahe seinen Körper an meinem. Sein Atem roch nach Zimt und Gewürznelke, und als ich mich wieder bewegte, berührten sich tatsächlich unsere Körper, und obwohl es nur eine klitzekleine Berührung war, schienen sich alle Zellen in meinem Körper zu verwandeln, so wie bei einer chemischen Reaktion, ähnlich derjenigen auf dem Fotopapier vor uns.
    Das Bild auf dem Papier nahm allmählich Gestalt an. Ich konnte Umrisse erkennen, außerdem ein paar Schatten. An einer Stelle, links oben, schien sich so gut wie gar nichts zu tun, aber in der Mitte, über einem schillernden Etwas, schimmerten nun die Konturen eines Gesichts durch die Flüssigkeit, wie bei einer Person, die wieder an die

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