Karma Girl
ein kleines Kind und klatschte in die Hände.
»Oh, an das Motorrad erinnere ich mich noch gut! Er hat mich immer damit abgeholt, und ich hab mich hinten draufgesetzt, und zwar im Damensitz, so wie Frauen immer in den Western reiten. Wir waren das Thema der ganzen Stadt!«
»Jaja, es war alles eitel Sonnenschein«, sagte Radha. »Bis …«
Sie sah mich geheimnisvoll an.
»… Sita auf der Bildfläche erschien«, flüsterte sie, so laut es ging. »Na, nun schau doch nicht so erschrocken, Dimple! Ist doch viel unschuldiger, als du denkst. Also, ich erzähl's dir.«
Meine Mutter war noch nicht grün angelaufen vor Eifersucht und schien auch keine Anstalten zu machen, meinem Vater eins überzubraten – die Geschichte schien also nicht allzu krass zu sein. Ja, sie schien sogar darauf zu brennen, die Geschichte mal wieder zu hören.
»Sita war ein Mädchen aus dem Dorf deines Vaters«, begann Radha, »und war bereits in ihn verliebt, seit sie beide laufen konnten. Dein Vater hatte natürlich keine Ahnung davon, er interessierte sich noch nicht für Mädchen. Jahre vergingen, und als wir schließlich unsere medizinische Ausbildung in Bombay begannen, verliebte sich Rohit Hals über Kopf, und zwar ausgerechnet in ein Mädchen aus der Stadt.«
Ich zuckte zusammen.
»Deine Mutter«, ergänzte sie, als sie meine Reaktion sah. »Häufig saßen deine Eltern in der Bushaltestelle neben dem Mädchenpensionat und schauten sich in die Augen, wie es Verliebte so machen. Deine Oma machte immer diese köstlichen Laddoos für deinen Vater – ich selbst hab mir jedes Mal ein oder zwei davon gemopst.«
»Oder auch sechs oder sieben«, grinste meine Mutter.
»Okay, okay, oder acht oder neun«, gab sich Radha geschlagen. »Auf jeden Fall saßen die beiden stundenlang da, Dimple, und fütterten sich gegenseitig mit diesen Leckereien.«
Radha verstand es ziemlich gut, die Story hinauszuzögern, und machte es dadurch nur noch spannender.
»Nun«, fuhr sie fort, »und als sich das also bis nach Varad herumgesprochen hatte, dass Rohitbhai nicht nur mit einem anderen Mädchen, sondern mit einem Mädchen aus der Stadt, und nicht nur mit einem Mädchen aus der Stadt, sondern noch dazu mit einem Mädchen aus Bombay ging, da machte sich Sita so viel Sorgen, dass sie tatsächlich den Zug nahm und ihn auf der Uni besuchte, um ihm ihre Liebe zu gestehen. Klingt vielleicht für dich nach keiner allzu großen Sache, aber damals überstieg der Gedanke, dass ein Mädchen wie Sita, also ein Mädchen aus der tiefsten Provinz, ganz allein mit dem Zug nach Bombay fahren könnte, jegliche Vorstellungskraft.«
Seltsam, aber während Radha die Geschichte erzählte, konnte ich Karsh einfach nicht ansehen. Denn sobald ich es tat, starrte ich nur auf seinen Mund, so markant war der und die Lippen so voll – keine Ahnung, warum mir das nicht schon eher aufgefallen war. Dann passierte etwas Merkwürdiges: Vor meinen Augen verwandelten sich meine Eltern auf dem Sofa in Karsh und mich und wieder zurück, so wie im Traum. Und ich hatte plötzlich das seltsame Verlangen, Karsh auch mit irgendetwas zu füttern. Aber Paan schien mir dafür nicht wirklich romantisch genug.
»Als ihr dein Vater nun mitteilen musste, dass er bereits mit einem anderen Mädchen zusammen war, wahrte Sita auf geradezu poetische Weise ihre Würde: Sie fragte ihn, ob sie wenigstens seine Schuhe, die er gerade trug, mit nach Hause nehmen könnte.«
»Sie wollte seine Schuhe haben?«, fragte ich. »Wie wär's mit dem Geld für die Zugfahrt, und zwar pronto?«
»Nein, sie wollte nur seine Schuhe.«
»Na ja, vielleicht wenn es sich dabei um teure Nikes handeln würde, okay, aber Chappals?«
Karsh fing an zu grinsen. Ich erinnerte mich plötzlich daran, dass er Nikes trug, und schwieg.
»Oh, Bacchoodi«, sagte mein Vater liebevoll, »das liegt nur daran, dass du nicht weißt, was das in der indischen Kultur bedeutet. Schuhe und Füße sind … na ja, also in Indien berühren die Kinder die Füße ihrer Eltern, um damit ihren Respekt zu bekunden.«
»Warst du so viel älter als sie?«
»Nein, nein, das meine ich nicht. Ich will damit nur verdeutlichen, was für eine bewegende Bitte das war.«
»Hast du sie ihr denn gegeben?«
»Natürlich nicht«, sagte er. »Es hat mich tief berührt, es war eine wirklich poetische, sehr romantische Bitte. Aber wir wollen ja nicht übertreiben.«
★ ★ ★
Nachdem Radha und Karsh gegangen waren, war es schön, sich das kleine Tohuwabohu in der
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