Karma Girl
Verabschiedungszeremonie zu entgehen. Ich hatte fast die Tür erreicht, als Julian aus der Toilette kam und mir eine (hoffentlich gut gewaschene) Hand auf den Arm legte.
»Hey, Dimple«, sagte er. »Warte mal. Kann ich kurz mit dir unter vier Augen sprechen?«
Ob ich hier wohl jemals rauskommen würde? Ich spitzte die Ohren und wartete.
»Hör zu, ich hab noch mal über alles nachgedacht«, sagte er. »Und ich wollte dir nur sagen, wie Leid mir mein Verhalten von neulich tut, als wir zusammen unterwegs waren.«
Das Timing war miserabel, die Intention schien aber okay zu sein.
»Ich weiß auch nicht, was mich manchmal überkommt, wenn ich mit Dylan zusammen bin«, fuhr er fort. »Wir sehen uns jedenfalls kaum noch. Wir haben mehr oder weniger beschlossen, nicht mehr zusammenzuarbeiten. Ist auch, glaube ich, ganz gut so. Also, auf jeden Fall wollte ich dir nur sagen, dass, also, wenn du mal Zeit hast, dann würde ich gerne alles wieder gutmachen. Wir könnten zu Chimi's gehen und uns 'nen schönen Abend machen.«
Hier war er also: der Augenblick, auf den ich gewartet hatte. Wie war es bloß möglich, dass ich vor ein paar Wochen nur allzu gern bereit gewesen wäre, mir von meinem Kopf (und Volkes Stimme) etwas einreden zu lassen, was mein Herz – wie mir nun bewusst war – überhaupt nicht gefühlt hatte? Und heute Nacht war mein Herz wie eine geschälte Frucht, offen zum Verzehr bereit und so reif, dass sie, wenn nicht bald jemand davon probierte, schlecht werden würde. Aber es gab nur einen Menschen, für den sie bestimmt war.
Und hier waren sie jetzt: seine Haselnussaugen, nur ein paar Millimeter von meinen entfernt. Wie war es nur zu erklären, dass ich noch bis vor kurzem bereit gewesen wäre, die Demütigung von damals zu vergessen und wieder zu ihnen zurückzukehren? Wenn seine Augen dann nur ein paar Millimeter von meinen entfernt gewesen wären, wäre es so leicht gewesen, meine Augen zu schlie ßen und mich in seine Arme zu werfen.
Doch so einfach war das nicht mehr. Ich hatte die Augen ganz weit auf. Und ich konnte sehen, wie Karsh uns beobachtete. Er stand im Flur. Vielleicht wollte er nur aufs Klo. Oder er wartete darauf, dass ich mich verabschiedete. Ich war schon kurz davor, als ich sah, wie sich ein mit Rakhis geschmückter Arm um seine Hüften legte und ihn in die andere Richtung des Flures zog, und er schien auf einmal so weit weg zu sein, als sei er auf der anderen Seite des Ozeans.
»Entschuldigung angenommen, Julian«, sagte ich, nachdem ich wieder aus meiner Träumerei erwacht war. »Aber um ehrlich zu sein, hab ich kein großes Interesse …«
Andererseits gab es keinen Grund, es ihm eins zu eins zurückzuzahlen und ihm die Laune zu vermiesen.
»Es ist einfach so, dass ich zurzeit mit den Gedanken woanders bin«, sagte ich mit sanfter Stimme.
»Hab verstanden«, sagte er und versuchte zu lächeln.
»Na dann, ciao«, sagte ich und öffnete die Tür. »Ich hoffe, du findest, wonach du suchst.«
30. KAPITEL
Kavita allein zu Haus
Als ich nach Hause kam, stolperte ich fast über etwas, was vor der Treppe direkt neben den Büschen lag. Ich beugte mich hinunter, um nachzusehen, was es war: Karshs Schuhe. Er hatte sie also doch nicht mitgenommen und war wieder in seinen Chappals nach Hause gegangen. Ich überlegte, ob es für mein gebrochenes Herz nicht besser war, wenn ich sie ein für alle Mal aus meinem Leben beseitigen und ihm sofort vorbeibringen würde – aber direkt wieder zu Gwyn zurückzugehen, schien mir in mehr als einer Hinsicht ein riesiger Schritt zurück zu sein. Wenn er sie wirklich wiederhaben wollte, dachte ich, dann würde er schon vorbeikommen.
Meine Eltern waren noch im Wohnzimmer. Mein Vater fläzte sich griesgrämig auf dem Sofa, und meine Mutter lief mit dem Telefonhörer in der Hand im Zimmer auf und ab, gestikulierte wild mit den Armen und brummte dazu irgendwas auf Marathi.
»Hallo, Leute«, sagte ich. »Hat Kavita zufällig angerufen? Sie ist gar nicht zur Party gekommen.«
»Ja, sie hat angerufen«, antwortete meine Mutter.
»Und die Ärmste hat so sehr Rotz und Wasser geheult, dass ich kaum ein Wort verstanden habe.«
»Geheult? Was ist denn passiert?«
Meine Mutter wandte sich zu mir und fuchtelte wütend mit den Armen überm Kopf herum.
»Die Schlampe hat sie verlassen.«
»Äh … wer?«
»Sabina Patel Schmatel. Wegen dieser Upma Schmupma Dingsbums.«
Deshalb hatte sich also Kavita so lange nicht mehr gemeldet.
»Dieser Sabina«, fuhr meine
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