Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Karneval der Toten

Titel: Karneval der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Grimes
Vom Netzwerk:
Polly.«
    Aha! Diesmal hatte er sie erwischt! »Also Polly ? Komisch, Mrs. Kimble, aber zu mir sagte sie, ihr Name sei Debbie.« Er musterte sie mit einem boshaften Grinsen von oben herab.
    »Debbie ist mein zweiter Vorname. Ich hätte gern einen gefüllten Krapfen. Und ein Kremküchlein.« Sie reichte mit den Augen knapp über die Theke.
    Wusste dieses Kind eigentlich auf alles eine Antwort? Nun, bestimmt kannte Mrs. Kimble ihre Mutter. »Schlimm, nicht wahr, Mrs. Kimble, das mit Pollys Mutter?«
    »Ach, ja was denn, Lord Ardry?« Sie schäumte gerade die Milch auf, von einem dampfenden Lächeln umkränzt.
    »Na, dass sie auf des Todes Schwelle steht.«
    Dies brachte Mrs. Kimble nicht im Geringsten aus der Fassung, da es nicht stimmte. »Das glaube ich aber kaum, Lord Ardry. Mit ihrer Cousine habe ich sie eben noch auf der anderen Straßenseite vorbeigehen sehen.«
    Melrose sah zu Polly hinunter. »Im Sterben liegt sie, was?«
    »Das geht schon ganz lang so. Na, jedenfalls kann man doch rumlaufen, oder, solang man noch nicht ganz mausetot ist?« Sie ließ ihn einfach stehen und trug ihre Limonade, ihren Krapfen und ihr Küchlein zu einem der Tische hinüber.
    Eine Weile aßen sie in aller Stille. In aller Stille bis auf das Geboxe gegen die Sprossen an dem Stuhl. Gefüllte Krapfen essen war sowieso viel besser als reden. »Eine gute Freundin von mir heißt auch Polly«, sagte er und dachte an Polly Praed, die er schon länger nicht mehr gesehen hatte. »Sie wohnt in einem Ort namens Littlebourne.«
    Dies erregte keinerlei Interesse. Endlich war sie mit Essen und Trinken fertig und würde nun vielleicht wieder in die Welt eintreten.
    Als Melrose aufstand, um zu gehen, rutschte Polly von ihrem Stuhl und zog ihren Mantel an. Ziemlich dünn für ein winterliches Kleidungsstück, fand Melrose. Außerdem trug sie Sandalen, nicht gerade robustes Schuhwerk für diese Jahreszeit.
    »Ach, du gehst auch?«
    »Ja.«
     
    Polly trottete hinter ihm her. Er konnte das leise Schlappgeräusch hören, wenn ihre Sandalen auf dem Kopfsteinpflaster aufschlugen.
    Er drehte sich um und ging ein Stück weit rückwärts. »Warum trägst du keine richtigen Schuhe? Es ist nämlich Winter. Eis und Schnee und so weiter.«
    »Es schneit aber gar nicht.«
    »Na, jetzt gerade schneit es nicht, aber es hat schon.« Er schlenkerte die Hand in Richtung Dorfanger, wo die grauen Schneeränder um den kleinen Teich herum bereits schmolzen. »Man kann den Schnee riechen, der bald fällt. In der Luft kann man ihn schon riechen.«
    »Schnee riecht doch gar nicht. Das ist doch bloß weißer Regen.«
    Ihm fiel auf, dass sie dies verkündet hatte, ohne ihre Theorie durch ein bisschen Schnüffeln auch nur zu überprüfen.
    Melrose schritt inzwischen geradeaus und fragte über die Schulter: »Ist es eigentlich dein alleiniger Daseinszweck auf dieser Welt, anderen Leuten zu widersprechen?«
    »Ich hab keinen Zweck.«
    Als er sich nach ihr umsah, in ihren Sandalen, dem dünnen Mäntelchen und ohne Fäustlinge, hätte er es fast geglaubt, wenn ihre diabolische Schläue nicht gewesen wäre, mit der sie sich aus verzwickten Situationen herausredete. »Na, nun komm schon, komm, ich kann nicht mit dir reden, wenn ich dabei rückwärts gehen muss.«
    Sie kam ein paar Schritte näher, hielt sich aber dicht hinter ihm.
    »Warst du schon einmal in dem Buchladen?«
    »Nein.« Sie schüttelte den Kopf.
    »Das überrascht mich. Ich dachte, in Long Piddleton hatte schon jeder einmal das Vergnügen, dessen charismatischen Besitzer unter die Lupe zu nehmen.«
    »Ich bin nicht von hier.«
    Er blieb verblüfft stehen. »Was soll das heißen?«
    »Das heißt, dass ich nicht von hier bin.«
    Wenn er sie jetzt an den Füßen packte und durchschüttelte, fragte er sich, ob die Postangestellte – er stand mit Polly gerade vor dem Postamt – ihn wohl bei der Obrigkeit melden würde. War ihm jemals ein so wunderliches und dabei höchst nüchternes Kind begegnet wie dieses?
    »Ja, ich weiß . Das sagtest du schon. Und woher bist du dann?«
    »Aus Sidbury.« Sie deutete in die Richtung, die sie offenbar für die nach Sidbury hielt.
    Dabei kam ihm, Gott allein wusste warum, Prousts Die Welt der Guermantes in den Sinn. Es wäre interessant, wenn Polly in Die wiedergefundene Zeit vorkäme. Was Proust wohl von ihr halten würde? Melrose konnte sich gut vorstellen, dass Polly selbst ein Produkt unfreiwilliger Erinnerungen war. »Wenn du also von dort bist, wieso bist du dann hier?«
    Sie

Weitere Kostenlose Bücher