Karparthianer 01 Mein dunkler Prinz
spenden. Er sehnte sich danach, ihr Gesicht zu berühren, um festzustellen, ob ihre Haut wirklich so zart war, wie sie im Mondlicht wirkte. Ihre Stimme war ein sanftes Flüstern, erotisch und beruhigend zugleich. Sie schien in seine Seele zu dringen, um ihn zu trösten und seinen Schmerz zu lindern. Er räusperte sich.
»Mein Vater hat meine Mutter vor einigen Tagen ermordet.
Wenn ich doch nur früher nach Hause gekommen wäre!
Meine Mutter rief mich an und erzählte etwas von einer Frau, die mein Vater umgebracht haben soll. Er litt an Wahnvorstellungen von Vampiren, die sich von den Leuten im Dorf ernähren. Mein Vater ist immer abergläubisch gewesen, doch ich hätte nie gedacht, dass er eines Tages völlig wahnsinnig werden würde. Mutter sagte, dass er mit einer Gruppe von Fanatikern auf Vampirjagd gegangen sei und prominente Mitglieder der Gemeinde als Opfer ausgesucht habe. Ich dachte, er hätte nur wieder mal große Reden geschwungen.« Rudy blickte auf seine Hände hinunter. »Ich hätte auf meine Mutter hören sollen, aber sie gab zu, dass niemand im Dorf etwas von dem Mord zu wissen schien. Ich glaubte, dass mein Vater sie angelogen hatte. Verdammt, vielleicht stimmte die Sache mit dem Mord ja tatsächlich nicht, aber jedenfalls war er verrückt. Er 276
hat meine Mutter erwürgt. Sie starb mit ihrem Rosenkranz in den Händen.«
Mit zitternden Fingern wischte sich Rudy die Tränen ab. Er konnte es sich nicht erklären, doch die geheimnisvolle Frau schien in seinen Gedanken zu sein, um ihm Trost und Wärme zu spenden. Die Illusion war so perfekt, dass sich Begehren in ihm regte. Plötzlich wurde ihm bewusst, dass er ganz allein mit ihr war. Ohne es zu wollen, dachte Rudy darüber nach, dass niemand von diesem Treffen wusste.
Selbst in seiner tiefen Trauer hatte der Gedanke etwas beängstigend Erregendes. »Ich blieb noch einen Tag länger an der Universität, um ein Examen abzulegen, das ich für sehr wichtig hielt. Ich glaubte nicht, dass mein Vater wirklich fähig war, jemanden umzubringen, schon gar keine Frau. Meine Mutter war Hebamme. Sie half dabei, Kinder auf die Welt zu bringen. Ich versprach ihr, nach Hause zu kommen und mich um die Angelegenheit zu kümmern. Sie wollte den Priester aufsuchen, aber ich redete es ihr aus.«
»Ich wünschte, ich hätte sie gekannt«, erwiderte Raven aufrichtig.
»Sie hätten sie sicher gemocht. Jeder im Dorf mochte meine Mutter. Sie muss versucht haben, meinen Vater aufzuhalten. In der Nacht, in der das schreckliche Gewitter tobte, war mein Vater mit einer Gruppe von Fremden unterwegs. Er muss meine Mutter ermordet haben, bevor er das Haus verließ. Wahrscheinlich hatte er Angst, sie würde versuchen, ihn aufzuhalten oder jemanden zu warnen. Er wurde unter einem Baum gefunden, in den der Blitz eingeschlagen hatte. Er und die anderen waren bis zur Unkenntlichkeit verbrannt.«
»Wie schrecklich für Sie.« Raven strich sich das schwere, seidenweiche Haar zurück. Die Geste wirkte sexy und unschuldig zugleich. Eine gefährliche Kombination.
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Nebelschwaden zogen durch den Wald. Sie wehten zwischen den Stäben des eisernen Tores hindurch und sammelten sich im Hof. Dann türmten sie sich zu einer milchigen Säule auf, schimmerten und verbanden sich, bis Mikhail in menschlicher Gestalt vor seinem Haus stand. Er hob die Hand, flüsterte den Befehl, um den Bannzauber aufzuheben, und trat ein. Sofort wusste er, dass sie nicht mehr da war.
Seine Augen funkelten bedrohlich. Mikhail unterdrückte ein leises Knurren. Sein erster Gedanke war, dass jemand Raven entführt hatte und sie nun in Gefahr schwebte.
Sofort schickte er seinen Verbündeten, den Wölfen, einen Ruf, um ihm bei der Suche zu helfen. Dann atmete er tief durch und suchte auf telepathischem Wege nach ihr, um ihren Aufenthaltsort zu bestimmen. Es war nicht schwer, sie zu finden. Raven war nicht allein. Ein Sterblicher, ein Mann, war bei ihr.
Mikhail stockte der Atem, und sein Herzschlag setzte beinahe aus. Er ballte die Hände zu Fäusten. Neben ihm barst eine Tischlampe in tausend Scherben. Draußen frischte der Wind auf und wirbelte durchs Unterholz. Mikhail ging nach draußen, erhob sich in die Luft und breitete seine majestätischen Schwingen aus. Pfeilschnell flog er über den Wald. Unter ihm heulten die Wölfe und sammelten sich.
Lautlos ließ sich Mikhail in die dichte Baumkrone über Ravens Kopf gleiten. Sie strich sich gerade in ihrer verführerischen, sehr weiblichen Art das Haar zurück.
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