Karparthianer 01 Mein dunkler Prinz
wen er sich jetzt zum Todfeind gemacht hat.« Gregori zuckte gelassen die breiten Schultern.
Mikhail betrachtete Gregoris harte, aber dennoch seltsam sinnliche Züge. Er strahlte unendliche, Ehrfurcht gebietende Macht aus, die sich im Blick seiner silbriggrauen Augen spiegelte. »Du glaubst, dass ich nun Baven bei mir habe und dich nicht mehr brauche. Deshalb lenkst du die Bedrohung bewusst auf dich, um mich und meine Gefährtin zu beschützen, weil du tief im Innern der Uberzeugung bist, dass du nicht mehr lange durchhalten kannst. Du suchst die gefährliche Jagd, um vielleicht auf diese Weise dein Leben zu beenden. Doch unser Volk braucht dich mehr denn je, Gregori. Wir haben jetzt neue Hoffnung. Es gibt für uns alle eine Zukunft, wenn wir die kommende Zeit überstehen können.«
Gregori seufzte schwer und wandte sich ab, um nicht mehr Mikhails kritischem Blick begegnen zu müssen. »Es ist wichtig, dein Leben zu retten. Um meines mache ich mir keine Gedanken.«
Mikhail fuhr sich erschöpft durch das dichte dunkle Haar.
»Unser Volk kann nicht ohne dich auskommen, Gregori.
Und ehrlich gesagt: Ich kann es auch nicht.«
»Bist du denn so sicher, dass ich nicht auf die Seite des Bösen treten werde?« Gregori lächelte spöttisch. »Dein Vertrauen in mich übertrifft das meine bei weitem. Dieser 360
Vampir ist skrupellos, berauscht von seiner Macht. Er liebt den Tod und die Zerstörung. Ich bekämpfe diesen Wahnsinn in mir Tag für Tag. Seine Kräfte könnten sich niemals mit meinen messen. Ich habe kein Herz, und meine Seele ist in Finsternis gehüllt. Ich will nicht daraufwarten, eines Tages meine Entscheidung nicht mehr selbst treffen zu können. Du sollst nicht dazu gezwungen werden, mich jagen und töten zu müssen, Mikhail. Mein Leben bestand immer aus meinem Glauben an dich und dem Schwur, dich unter allen Umständen zu beschützen. Ich werde nicht daraufwarten, dass es von dir beendet werden muss.«
Mit einer müden Handbewegung öffnete Mikhail die Erde über seinem Bruder. »Du bist der Heiler unseres Volkes und unserer Rasse zur Ehre.«
»Ja, deshalb flüstert man meinen Namen wohl auch nur in Angst und Schrecken.«
Plötzlich bebte die Erde unter ihren Füßen. Die Berge erzitterten grollend, und in den Felsen bildeten sich Bisse.
Das Zentrum des Bebens schien offenbar weit entfernt zu sein, doch dann ertönte das unverwechselbare Wutgeheul eines mächtigen Vampirs, dessen Unterschlupf zerstört worden war.
Der Untote hatte gelassen sein Versteck aufgesucht, dann jedoch die erste Wolfsleiche vorgefunden. Jede Abzweigung in den Gängen und jeder Höhleneingang wurde von einem seiner leblosen Verbündeten markiert, bis schließlich das gesamte Budel tot zu seinen Füßen lag. Das Unbehagen des Vampirs verwandelte sich in Furcht. Nicht Mikhail hatte ihm das angetan, dessen Gerechtigkeitssinn ihn eines Tages noch das Leben kosten würde, sondern der geheimnisvollste aller Karpatianer. Gregori.
André hatte nicht damit gerechnet, dass Gregori in diesen Kampf eingreifen würde. Es gelang ihm knapp, sein bevorzugtes Versteck wieder zu verlassen, bevor der Berg 361
erzitterte und die Höhlenwände einstürzten. Klaffende Risse durchzogen die Gänge, und die Granitwände brachen mit ohrenbetäubendem Donnern und Knirschen zusammen. Ein Vampir musste die Sonne und die bleierne Müdigkeit bei Tagesanbruch noch viel mehr fürchten als ein Karpatianer.
André blieb nur wenig Zeit, um ein neues Versteck zu finden. Als er aus der einstürzenden Höhle hervorschoss, traf ihn das Sonnenlicht, sodass er vor Schmerz aufheulte.
Sein Unterschlupf verwandelte sich in eine Wolke aus Staub und Geröll, während das Echo von Gregoris spöttischem Gelächter selbst das Grollen des Erdbebens übertönte.
»Nein, Gregori«, sagte Mikhail mit einem leisen Lachen, während er sich in die heilende Umarmung der Erde begab,
»dieser Streich ist ein viel besseres Beispiel dafür, warum man dich fürchtet. Ich bin eben der Einzige, der deinen schwarzen Humor zu schätzen weiß.«
»Mikhail?«
Mikhail hob die Hand, um die Erde über sich zu schließen, hielt jedoch inne.
»Ich würde weder dich noch Jacques je gefährden, indem ich André herausfordere und provoziere. Er kann meine Bannsprüche nicht überwinden.«
»Ich habe keine Angst vor André. Außerdem weiß ich, wie mächtig deine Zauberkraft ist. Ich glaube, unser Vam-pirfreund hat jetzt genug damit zu tun, ein neues Versteck vor der Sonne zu finden. Er kann
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