Karparthianer 03 Der Fürst der Nacht
ihrer verrückt gewordenen Welt wieder einen Sinn gab.
Sie brauchte ihn, damit er ihr den schrecklichen, quälenden Hunger nahm, der sie davon abhielt, Joshuas Gesellschaft wirklich zu genießen. Doch vor allem brauchte sie Aidan, damit er Besitz von ihrem Körper nahm, damit seine Hände und Lippen endlich die Sehnsucht stillten, die in ihr loderte.
Sein Herz sollte im Gleichklang mit ihrem schlagen, seine Gedanken sollten ihre sein, damit sie endlich all ihre Fantasien miteinander teilen und in die Tat umsetzen konnten.
Alexandria gab sich alle Mühe, am normalen Ablauf des Abends teilzunehmen. Sie half Joshua bei den Hausaufgaben, gab vor, einer Fernsehsendung zu folgen, und beteiligte sich sogar an der 257
Diskussion über einen Großbild-Fernseher. Stefan schlug sich auf Joshuas Seite und erklärte, dass ein großer Bildschirm für seine alten Augen absolut notwendig sei, während Marie und Alexandria befanden, ein solches Luxusgerät sei eine unnötige Geldausgabe.
Doch ständig klang das Rauschen des Blutes der Sterblichen wie eine Symphonie in Alexandrias Ohren, die alles zu übertönen schien. Als sie Joshua ins Bett brachte, versuchte sie, die Zeit mit ihm zu genießen. Sie las ihm etwas vor, zettelte eine kurze Kissenschlacht an und deckte Josh dann liebevoll zu. Normalerweise freute sie sich auf diesen Moment mit ihrem Bruder, doch an diesem Abend konnte sie sich kaum vom Geräusch seines Herzschlags losreißen. Wieder fühlte sich Alexandria in einem nicht enden wollenden Albtraum gefangen.
Sorgfältig machte sie sich für ihre Verabredung mit Thomas Ivan zurecht. Doch als sie das Abendkleid überstreifte, spürte sie eine Berührung wie von warmem Samt. Mit zitternden Händen steckte sie sich das Haar auf. Seit sie vor Aidan geflohen war, hatte sie ihn nicht mehr gesehen. Zwar war er immer in ihrer Nähe gewesen, hatte sich jedoch außer Sichtweite aufgehalten. Doch statt erleichtert zu sein, fühlte sich Alexandria seltsam bedrückt. Vielleicht kümmerte es Aidan überhaupt nicht, dass sie mit einem anderen Mann ausging. Vielleicht machte es ihm nichts aus. Warum sollte es auch? Sie wollte schließlich gar nicht, dass es ihm etwas ausmachte.
Sie wünschte sich nur, einen sterblichen Mann zu finden, zu dem sie sich hingezogen fühlte und in den sie sich verlieben konnte. Nicht auf eine wilde, besessene Art, sondern sanft und zärtlich. Ein normaler, menschlicher Mann.
Alexandria betrachtete ihre Fingernägel. Normalerweise waren sie immer frustrierend kurz, doch plötzlich sahen sie lang und wunderschön gepflegt aus, wie nach einer Maniküre im Schönheitssalon. Auch ihr Haar schien voller und glänzender zu sein, ihre Wimpern länger und dichter. Ihre Haut dagegen war blass und beinahe durchscheinend.
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Seufzend betrachtete Alexandria ihr Spiegelbild. Sie sah so aus wie immer . . . und doch anders. Das Kleid saß wie angegossen und betonte ihre vollen Brüste und die schmale Taille, als wäre es für sie entworfen worden. Alexandria strich über den weichen Stoff, der ihre Schenkel bedeckte. Das Herz schlug ihr bis zum Hals, als sie aufblickte und in Aidans goldbraune Augen sah. Er stand hinter ihr und betrachtete sie im Spiegel. Zusammen gaben sie ein sehr erotisches Bild ab: Aidan so groß und stark, mit seinen funkelnden Augen, und Alexandria dagegen schlank, zerbrechlich, mit einer Haut wie durchscheinendes Porzellan.
»Du siehst wunderschön aus, Alexandria«, begann er leise.
Seine Stimme klang beschwörend und schien sie einzuhüllen wie der kostbare Stoff des Kleides. Seine Züge wirkten undurchdringlich, doch er ließ sie nicht aus den Augen.
»Ich . . . ich komme nicht zu spät nach Hause«, stotterte sie wie ein ertappter Teenager. Gleich daraufhätte sie alles getan, um ihre Worte zurückzunehmen. Aidan lächelte nicht, verzog keine Miene.
Alexandria erschauerte. Plötzlich schien ihr Widerstand dumm und gefährlich zu sein, als wollte sie einen Tiger ködern. Aidan blickte sie unverwandt an. Würde er sie gehen lassen? Noch vor wenigen Minuten war sie enttäuscht gewesen, weil es ihm nichts auszumachen schien. Jetzt dagegen wäre sie am liebsten weit, weit fortgelaufen.
Langsam schüttelte er den Kopf. »Dio, Alexandria. Du bestehst noch immer darauf, mich als Ungeheuer zu betrachten. Doch du solltest aufpassen, piccola, dass du nicht eines erschaffst.« Er verließ den Raum so leise, wie er ihn betreten hatte.
Zitternd dachte Alexandria über die Drohung nach. Sie
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