Karparthianer 03 Der Fürst der Nacht
direkt über Aidan und Alexandria, versuchte Stefan, seine Frau zu trösten, während sie einander umarmten und verzweifelt darauf warteten, dass Aidan sich erhob.
Die Dämmerung schien ewig auf sich warten zu lassen, doch als gegen Abend schließlich dichte Nebelschwaden vom Meer heraufzogen, ließ Stefans Anspannung ein wenig nach, obwohl er sich noch immer schuldig fühlte.
Tief unter der Erde erhob Aidan sich aus dem Schlaf. Er verspürte quälenden Hunger; jede seiner Zellen schien nach Nahrung zu verlangen, um wieder zu Kräften zu kommen. Doch sein erster Gedanke galt Gregori. Es gab nur eine Möglichkeit: Der mächtige Karpatianer hatte eingegriffen. Er verfügte über die Fähigkeit, die Aura des Bösen selbst aus weiter Entfernung im Schlaf zu spüren. Er hatte den Nebel geschickt, da er wusste, dass Aidan zu schwach 335
gewesen war, die Schwaden zu sammeln. Die Nebelbänke hatten sich noch immer nicht zerstreut, sondern boten Aidan Schutz, damit er noch vor Sonnenuntergang aufbrechen konnte.
In all den Jahrhunderten hatte Aidan nie damit aufgehört, sich weiterzubilden. Wie Gregori glaubte auch er daran, dass Wissen ihm Macht verlieh, und dennoch konnte er nicht hoffen, Gregoris Leistungen zu vollbringen. Er hätte kein körperloses Wesen wahrnehmen können, während er in der Erde ruhte, aber Gregori hatte es geschafft und ihm den Nebel geschickt. Aidan lächelte.
Gregori war keinesfalls der Vampir.
Aidan betrachtete Alexandrias Gesicht und strich ihr zärtlich übers Haar, ehe er mit ihr nach oben ins Schlafzimmer schwebte.
Alexandria schlief immer im Bett ein und erwachte auch dort, doch solange die Vampire die Stadt unsicher machten, brachte Aidan sie jeden Morgen in die heilende Erde, in der sie unmöglich aufzuspüren war.
Wach auf, piccola. Wach auf und sieh deinen Gefährten an. Er flüsterte die Worte zögernd, da er sich vor ihrer Reaktion auf die schreckliche Nachricht fürchtete.
Leise seufzend holte Alexandria zum ersten Mal Atem, und der Laut brach Aidan förmlich das Herz. Sie schlug die Augen auf und blickte Aidan an. Sogleich wurde er von ihrer Wärme eingehüllt, die sein Wesen zu durchdringen schien. Alexandria lächelte ihn liebevoll an.
»Was ist denn?«, fragte sie. Langsam hob sie die Hand und folgte mit der Fingerspitze den Konturen seiner Lippen. »Was hast du dir angetan? Du bist ganz blass, Aidan. Du brauchst Nahrung.« Ihre Stimme klang verlockend.
»Alexandria.« Er sagte nur ihren Namen, nichts weiter.
Wie immer überraschte sie ihn. Ihre Augen verdunkelten sich zu einem tiefen Blau, sie verhielt sich ganz still, und ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. »Ist er am Leben?« Sie klang weder 336
vorwurfsvoll noch wütend, weil er ihren Bruder nicht beschützt hatte.
Aidan schloss die Augen, um sie nicht ansehen zu müssen.
Wortlos nickte er.
Alexandria atmete tief durch und streichelte seine Wange. »Sie mich an, Aidan.«
»Das kann ich nicht, Alexandria. Ich werde dir erst wieder in die Augen sehen, wenn ich Joshua in Sicherheit gebracht habe.«
»Ich sagte, du sollst mich ansehen.« Mit den Fingerspitzen hob sie sein Kinn an.
Aidan konnte nicht anders, als ihr zu gehorchen. Ihre Sanftheit und ihr Verständnis drohten ihn innerlich zu zerreißen. Plötzlich fühlte er, wie sie ihren Geist mit seinem verschmolz, so schnell und rückhaltlos, dass er nichts vor ihr verbergen konnte. Sie sah alles, die blutrünstigen Tiere, die Joshs Leibwächter angegriffen hatten, Stefans und Maries Kummer, Joshuas Angst, Aidans qualvolle Bemühungen, dem Tageslicht zu trotzen, und den Tod des Sklaven, den der Untote erschaffen hatte. Alexandria wurde mit den Geschehnissen in allen Einzelheiten konfrontiert. Als sie hörte, wie Joshua ihren Namen flüsterte, gab sie einen einzigen Laut von sich.
Alexandrias Kummer war so groß, dass Aidan spürte, wie seine dunkle, tödliche Seite in ihm aufstieg und ihn zu überwältigen drohte. Ein bedrohliches Zischen entrang sich seiner Kehle, und in seinen goldbraunen Augen funkelte tödliche Entschlossenheit. »Wie kann er es wagen?« Aidans Stimme war eisig. »Wie kann er es wagen, den Jungen zu benutzen, um mich anzulocken?«
»Aidan.« Alexandria legte ihm einen Finger auf den Mund. »Du darfst dir nicht die Schuld daran geben. Komm her, nimm dir, was du brauchst, um Joshua zurückzubringen.« Langsam schob sie das Seidenhemd auseinander, das sie trug, und umfasste gleichzeitig Aidans Nacken, um seinen Kopf zu sich
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