Karparthianer 03 Der Fürst der Nacht
überzeugt davon, sich alles nur eingebildet zu haben. Doch dann sprang der Wolf in einem Satz auf ihn zu und schlug die Zähne in seinen Hosenboden. Aidan erbeutete ein großes Stück Jeansstoff, und der Junge stieß einen gellenden Schrei aus. Ohne sich umzudrehen, rannte er sei- nen Freunden hinterher, so schnell er nur konnte.
Diesmal lachte Aidan laut auf, und die dichten Nebelbänke trugen das Geräusch in die Nacht hinaus. Er konnte sich nicht erinnern, wann er zuletzt so viel Spaß gehabt hatte. Die Bandenmitglieder riefen einander ängstliche Warnungen zu. Um für etwas mehr Chancengleichheit zu sorgen, konzentrierte sich Aidan auf die Autos, die er umwarf, so dass sie auf den Dächern lagen.
Dann nahm er sich die Wagen der anderen Bande vor. Die Jungen würden sich sowieso einige Zeit im Park ausruhen müssen.
Aidan überzeugte sich davon, dass beiden Banden die Lust auf einen Kampf vergangen war, und erhob sich dann wieder in den Nachthimmel, um schnell zu Alexandria zurückzukehren. Er landete auf dem Steinweg im Garten, der zur Küche führte. Der Wind frischte auf und zerstreute allmählich die dichten Nebelbänke. Zarte, weiße Schwaden schwebten durch den dunklen Garten wie Spitzenschleier. Der Anblick war von zauberhafter Schönheit.
Aidan atmete tief durch und blickte zum Himmel auf. Mochte dies auch nicht seine Heimat sein, so war es doch sein Zuhause. Der Vampir hatte sich in diesem Punkt geirrt. Im Laufe der Jahre hatte Aidan San Francisco ins Herz geschlossen. Es war eine faszinierende Stadt, in der interessante Menschen lebten. Natürlich vermisste er die Berge und Wälder der Karpaten und sehnte sich danach, einmal wieder die heilige Erde seiner Heimat zu berühren. Doch auch diese Sehnsucht ließ ihn den Charme dieser Stadt nicht vergessen - die Mischung der unterschiedlichsten Kulturen lud immer wieder zu Entdeckungsreisen ein.
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Aidan öffnete die Hintertür mit seinem Schlüssel. Es war still im Haus. Stefan und Marie schliefen in ihrem Zimmer, und Joshua schien eine unruhige Nacht zu haben. Die lange Trennung von seiner Schwester setzte dem Kleinen zu, obwohl Marie ihm gestattet hatte, in ihrem kleinen Wohnzimmer im ersten Stock zu schlafen, damit er sich nicht einsam fühlte. Stefan hatte sein Versprechen gehalten; alle Türen waren verriegelt, und er hatte auch die Eisengitter vor den Fenstern geschlossen, um Eindringlinge abzuhalten.
Auch Aidans Sicherheitsmaßnahmen wirkten. Die hübschen Bleiglasscheiben in den Türen wurden von uralten Zaubersprüchen verstärkt, die nur wenige Karpatianer kannten. Gregori, der am meisten gefürchtete Jäger und größte Heiler des karpatianischen Volkes, hatte ihm viel beigebracht - Zaubersprüche, Heilkunde und sogar die verschiedenen Arten, Untote zu jagen. Mikhail, der Prinz der Karpatianer und Gregoris einziger Freund, hatte Aidan in die Vereinigten Staaten entsandt, nachdem bekannt geworden war, dass die Vampire ausgeschwärmt waren und die neue Welt zu ihrem Jagdgebiet gemacht hatten. Gregori bildete nur wenige Jäger aus. Er war ein Einzelgänger und mied den Kontakt zu seinem Volk.
Julian, Aidans Zwillingsbruder, hatte einige Zeit mit Gregori zusammengearbeitet, war seinem geheimnisvollen Lehrmeister jedoch zu ähnlich. Auch Julian brauchte die Einsamkeit der Berge und dichten Wälder, in denen er mit den Wölfen umherziehen und mit den Adlern fliegen konnte.
Aidan ging durch die makellos saubere Küche zur Kellertür, und ihm fiel plötzlich auf, wie gut es immer in der Küche roch: nach frisch gebackenem Brot und Gewürzen. Marie und ihre Familie sorgten seit Generationen dafür, dass sein Haus einladend und gemütlich war, doch er hatte diese Leistung nie wirklich zu schätzen gewusst. Zwar war Aidan immer dankbar für ihre Loyalität gewesen, hatte aber nie wirklich gemerkt, dass diese Menschen seine trostlose Existenz erträglich gemacht hatten.
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Tief atmete er den Duft seiner Familie ein, und eine wohlige Wärme breitete sich in seinem Körper und seiner Seele aus. Nach all den Jahrhunderten der Kälte und Verzweiflung wurde Aidan plötzlich von tiefer Dankbarkeit erfüllt. Auch die Einrichtung des Kellers war ihm nie wirklich aufgefallen. Es handelte sich nicht einfach um ein dunkles, feuchtes Verlies, sondern um einen groß-
zügigen, sorgfältig eingerichteten Raum, in dem Stefan seine schönen Holzschnitzereien anfertigte. Die Werkbänke und Tische waren sauber und aufgeräumt, an den Wänden hingen glänzende,
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