Karparthianer 04 Magie des Verlangens
große Boot hätte eigentlich nicht so weit ins Schilf hineinfahren können. Da ragen überall dicke Wurzeln aus dem Wasser, und die Insekten stechen zu, bis man blutüberströmt ist. Das Boot hätte es nicht schaffen sollen, aber irgendwie kamen sie weiter, als hätte man ihnen eine Schneise geschlagen. Wie eine Einladung zum Sterben.«
352
Savannah fröstelte. Sie spürte eine düstere Vorahnung, die sich wie ein Schatten auf ihre Seele legte. »Warum wollten die Kinder nur dorthin fahren?«, fragte sie schaudernd.
Gregori legte ihr den Arm um die Schultern und zog sie an sich. »Keine Angst, ma petite, ich bin bei dir. Dir wird niemals etwas geschehen, solange ich in deiner Nähe bin.«
Beau glaubte jedes Wort von Gregoris geflüstertem Versprechen. Ihm war schon aufgefallen, dass es plötzlich keine Moskitos mehr gab. Dasselbe war auch mit Julian Selvaggio geschehen. Merkwürdige Sache. Aber andererseits hatte Beau im Bayou schon so viele seltsame Dinge gesehen.
Der Kapitän senkte die Stimme noch mehr, als befürchtete er, das Wasser unter dem Boot könne seine Geschichte in die Welt hinaus tragen. »Viele sind neugierig und wollen wissen, ob etwas an der Legende dran ist. Trapper, Wilderer auf Trophäenjagd oder solche, die Hunger haben und Geld brauchen.
Die Fremden halten das Ganze für Voodoo-Unsinn. Sie haben keine Ahnung von der Magie des Bayou und gehen auf die Jagd nach etwas, das sie nicht verstehen. Julian hatte Respekt vor der Natur und akzeptierte unsere Lebensweise und Magie.
Deshalb habe ich ihm die Geschichte erzählt und ihn mit auf die Jagd genommen.«
»Warum will denn jeder dieses Tier töten?«, entgegnete Savannah, die Mitleid mit dem Alligator hatte. »Es will doch nur überleben.«
Beau schüttelte den Kopf und ließ den Motor an. Langsam tuckerte das Boot durchs Wasser. »Nein, Savannah, du brauchst dein Mitgefühl nicht zu verschwenden. Es ist kein gewöhnlicher Alligator. Die alte Echse ist böse, lauert im Wasser, egal, ob sie nun hungrig ist oder nicht, und tötet alles, was in ihre Nähe kommt. Mensch oder Tier, dem Alten ist es gleichgültig. Er zieht sie ins Wasser und verschlingt sie.
353
»Ich dachte, du magst Alligatoren, Beau«, protestierte Savannah. »Sie sind ein Teil der Natur und gehören in den Bayou. Eigentlich sind wir doch die Eindringlinge, die sich in ihrem Revier breit machen. Dieses arme Tier will wahrscheinlich nur in Ruhe gelassen werden, aber sie jagen es trotzdem.«
»Was geschah mit den Kindern?«, fragte Gregori leise.
»Sie kamen nie zurück. Mein Vater war unruhig, er machte sich Sorgen. Schließlich kannte er die Geschichten über den Alligator, und es gefiel ihm gar nicht, dass die Stadtkinder so tief in die Sümpfe fuhren. Der Alte tötet nur zum Spaß. Wir wussten, wie böse er ist. Mein Vater bestand darauf, nach den Kindern zu suchen. Er sagte, ich solle mich ganz still verhalten, holte Ollampen, Streichhölzer, sein Gewehr und einen Haken -
alles, was wir zu unserem Schutz mitgenommen hatten.«
Die stickige Luft schien völlig stillzustehen, als wartete sie gespannt auf das Ende der Geschichte. Savannah schmiegte sich an Gregori. Plötzlich zweifelte sie daran, dass sie das Ende hören wollte. Deutlich spürte, hörte und sah sie die Szene, die Beau beschrieb.
Es ist alles in Ordnung, chérie. Gregoris Stimme in ihren Gedanken tröstete sie und wirkte wie ein Schutzschild zwischen ihrer sensiblen Vorstellungskraft und den Dingen, die sie gleich hören würde.
»Wir rochen einen furchtbaren Gestank. Die Luft war so stickig, dass wir kaum atmen konnten. Ich erinnere mich noch darán, wie uns der Schweiß in Strömen über den Rücken lief.
Wir wussten beide, dass uns der Alte fressen würde, wenn wir noch weiter in sein Revier eindrangen. Wir wollten umkehren, und mein Vater drosselte den Motor. Ich hatte solches Herz-klopfen, dass ich es hören konnte. Die Moskitos fielen über uns her. Die Haut meines Vaters war schwarz von den Biestern. Sie stachen und bissen uns, flogen uns in Augen und Nase. Sogar in den Mund.«
354
Beau regte sich so sehr auf, dass Gregori unwillkürlich die Verbindung zu ihm suchte, um ihn zu beruhigen. Er atmete mit ihm, ließ sein Herz im gleichen Rhythmus schlagen, bis sich Beaus Atmung und Puls wieder normalisierten. Er flüsterte den karpatianischen Heilzauber und schuf eine leise Brise, die Beau erfrischte und die brütende Hitze vertrieb. Die Anspannung des Kapitäns löste sich.
Beau lächelte
Weitere Kostenlose Bücher