Karpfen, Glees und Gift im Bauch
Spalten durchzogen. Die Ruhe täuschte. Das Wetter konnte in dieser Gegend sehr schnell umschlagen.
So beschaulich ruhig und faszinierend die endlose Eislandschaft am Boden wirkte, umso bedrohlicher sah es in fünfzehn bis fünfundzwanzig Kilometer über der Antarktis aus. Der von Menschenhand erzeugte Umweltkiller, die Chemikalie Fluorchlorkohlenwasserstoff, hatte sich über Jahrzehnte in der Atmosphäre verteilt und war langsam, aber beständig, in riesigen Mengen in die Stratosphäre aufgestiegen. Im kalten Polarwinter, wenn in diesen Höhen die Temperaturen auf bis zu minus achtzig Grad absinken, entstehen in sich geschlossene, zyklonale Wirbel, die kaum Luft von außen herein lassen. In dieser antarktischen Dunkelheit und Kälte bilden sich polare Eiswolken, da sich auch noch der letzte Wasserdampf zu Kristallen formt. Als nun mit dem Einsetzen des Frühjahrs die Sonne wieder an Kraft gewonnen hatte und ihre ersten ultravioletten Strahlen ausschickte, spalteten diese das an den Eiskristallen festgesetzte Chlor in Chlorradikale. Chlorradikale sind sehr angriffslustige Kandidaten, ständig auf der Suche nach neuen Reaktionspartnern. Außer Wasser, Salpetersäure und Schwefelsäure sind diese in dieser Höhe aber nicht gerade im Überfluss vorhanden. Also begannen die Chlorradikale sich über die Ozonschicht herzumachen und deren Moleküle zu zerstören. Eine verheerende Kettenreaktion setzte ein. Erst als die Sonne immer stärker geworden war und ihre Strahlung die Eiswolken restlos aufgelöst hatte, hatte das Spiel ein Ende: Das Chlor fand wieder andere Reaktionspartner. Ende Oktober sollte das Ozonloch so groß wie ganz Nordamerika sein.
Die Röttenbacher hatten mit dem Ozonloch kein Problem. Die meisten wussten überhaupt nicht was ein Ozonloch ist.
»Had dees vielleichd was mid der griechischn Schdaadsbleide zu do? A Loch im Haushald, maan i! Hasd Haushald auf Griechisch ned ›ozon‹? Iech maan ich hädd suwas in der Zeidung glesn. Odder is dees vielleichd der griechische Anisschnabs? Nix Gwiees was’i abber aa ned!«
Was hatten die Röttenbacher mit dem Ozonloch über der Antarktis zu tun? Da wollten sie sowieso nicht hin. Viel zu kalt! Und außerdem, gab es da überhaupt »Schweinsbradn und Glees«? Bestimmt nicht! Die Röttenbacher wollten nicht weg. Endlich hatten sie einen attraktiven, neuen Supermarkt, mit wirklich günstigen Preisangeboten. Der Stammtisch »Alte Bräuche« hatte schon Recht, mit seinem »Fränglisch-Quiz«: »God sigh dunk, ham dee a goods sour crowd«.
Kassensturz
Seit vor fünf Wochen der neue Supermarkt seine Pforten geöffnet hatte, war bei der FORMA »die Kadz gfreggd«. Die eigenen Parkplätze waren gähnend leer, leerer als die griechische Staatskasse. Drüben, bei der Konkurrenz scharten sich die Kunden. Johann Geldmacher saß in seinem Büro und raufte sich die wenigen Haare, die er noch hatte. Die Umsätze waren drastisch eingebrochen. Viel schlimmer, als die Kreditwürdigkeit Griechenlands und Portugals zusammen. Seine Mitarbeiter langweilten sich. Sie hatten nichts zu tun. Das Lager war voll. Die Verkaufsregale auch. Es wurde nichts mehr verkauft. Das Obst und Gemüse verfaulte in den Kartons. Milchprodukte wie Joghurt, Butter, Quark, Sahne und andere waren ebenfalls zu entsorgen. Ihr Haltbarkeitsdatum war längst abgelaufen.
Johann Geldmacher machte seinem Namen derzeit keine Ehre. Die Zentrale hatte schon nachgefragt, was da los sei. Nun durfte er sich auch noch rechtfertigen! Selbst der Markt in Hemhofen klagte bereits über einen drastischen Kundenrückgang.
Er hatte den »Immer Frisch« unterschätzt. Verstanden hatte er deren Geschäftsstrategie allerdings immer noch nicht. Wie war es möglich, dass »Immer Frisch«, dieser Nobody, bei fast allen Produkten den Verkaufspreis der mächtigen FORMA-Organisation unterbieten konnte? Da konnte etwas nicht mit rechten Dingen zugehen! Die Verkaufspreise des Wettbewerbers lagen knapp über seinen eigenen Einstandskosten. Wirtschaftlich betrachtet unmöglich. Im Geiste kalkulierte er zum wiederholten Male Personal-, Miet-, und Energiekosten. Er zählte sonstige Fix- und variable Kosten hinzu, berücksichtigte Abschreibungen, Finanzierungskosten, Lagerumschlaghäufigkeit, bereits deutlich reduzierte Gewinnmargen, Instandhaltungskosten und sonstige Einkaufsbedingungen, kam aber auf keinen grünen Zweig. Er stand vor einem Rätsel. Wie konnte Toni Wellein solch ruinöse Verkaufspreise anbieten? Zweihundertfünfzig Gramm
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