Karriere oder Jakobsweg? Wegezeit - Wendezeit. Mein Weg nach Santiago De Compostela
für eine Verbesserung etwas zu tun, irgendwie nervte. Ich wünschte ihr sehr, dass sie ihren Traum verwirklichen und Santiago erreichen würde. Wenn nicht in diesem Jahr, vielleicht in einem anderen. Ute war umgeben von den drei netten Sachsen, ein Ehepaar und deren Freund, ein kleiner, etwas rundlicher, schon älterer Mann mit Namen Gerd. Er hatte sich irgendwann auf dem Weg ein Fahrrad gekauft, weil er mit dem Laufen Probleme hatte und mit den beiden anderen - wesentlich jünger als er - nicht mithalten konnte, sie aber auch nicht ziehen lassen wollte. Nun fuhr er mit dem Fahrrad, eine Art Hollandrad, vor und war nicht länger müde und kaputt, sondern fröhlich und vergnügt. Er hatte seinem Fahrrad sogar einen Namen gegeben: Hulda! Die drei sächselten wie im Bilderbuch, es machte Spaß ihnen zuzuhören. Mein Freund Rudi war auch mal wieder zugegen, ebenso Klaus, der mir in San Nicolas die Salbe geschenkt hatte. Rudi hatte wieder zu allem und jedem etwas zu erzählen. Ich konnte ihn nur schwer ertragen, auch wenn ich mich ermahnte, da ich von ihm schon die eine oder andere Hilfe bekommen hatte. Woran lag es nur, an seiner Selbstgefälligkeit als erfahrener Pilger? An seinen nächtlichen Schnarchkonzerten? An seiner Schneidezahnlücke? An seinem Verhalten heute im Schlafraum? Er hatte einfach das Bett über ihm mit seinem Rucksack blockiert. Oder eventuell reserviert? Es blieb aber leer. War das Pilgersolidarität?
Der nächste Tag brachte mir eine neue Erfahrung. Bisher war ich nur mit Gu den Tag über unterwegs gewesen, nur ab und zu hatte mich jemand für eine kurze Wegstrecke begleitet, sonst war ich immer allein gewandert. Ich wollte es so. Doch jetzt war alles anders, Daniel begleitete mich und wie es schien, hatte er an diesem Morgen den Zeitpunkt genau abgepasst, an dem ich loslief. Obwohl ich ihm sehr deutlich und direkt auf seine Frage, ob er mich begleiten dürfe, geantwortet hatte, dass ich lieber alleine wandern wollte, blieb er hartnäckig an meiner Seite. Er störte mich, weil er zwischendurch immer wieder zu sprechen anfing und ich so gar keine Lust auf Unterhaltung hatte. Auch war er aufgrund seines schwyzerdeutschen Dialekts sehr schlecht zu verstehen, zudem war sein Deutsch durch einen portugiesischen Akzent gefärbt. Es war anstrengend ihm zuzuhören. Meine Versuche ihn durch schnelleres oder langsameres Gehen abzuschütteln, schlugen komplett fehl. Ich hatte mich so auf meinen ersten Tag nach der Zwangspause gefreut und nun das. Irgendwann gab ich entnervt auf, versuchte mich in die Situation einzufühlen, und eine positive Seite daran zu finden. Vielleicht fühlte Daniel sich einsam und wollte einfach nur in der Nähe eines Menschen sein. Wer weiß, vielleicht war es gut, dass heute jemand bei mir war. Der Weg war sehr einsam, nur ganz selten waren Pilger zu sehen. Ob die meisten Pilger die Strecke an der Nationalstrecke genommen und nicht wie wir die schönere Route gewählt hatten? Alles war sehr grün, viele Wildblumen rechts und links des Weges waren zu sehen, sodass die Farben wieder in einem wunderbaren Kontrast zueinander standen. Rot, gelb, grün und darüber das satte Blau des Himmels, nur unterbrochen von einigen weißen Schleierwolken. Kurz hinter Santibánez de Valdeiglesias passierten wir einen Bauernhof, vor dem eine ganze Meute Hunde frei umherlief. Sollte ich zum ersten Mal mit wilden, kläffenden Hunden Bekanntschaft machen? Viele Pilger berichteten von solchen Erlebnissen. Es ging aber keine Spur von Aggressivität von ihnen aus, im Gegenteil sie waren gänzlich uninteressiert an uns. Einige Schritte weiter war ein wenige Tage altes Kälbchen in einem separaten Käfig untergebracht. Es ließ sich streicheln und leckte mit seiner kleinen, rauen Zunge meine Hand ab. Es war entzückend! Allerdings fragte ich mich, was dieser Verhau eigentlich sollte? Warum war das Kälbchen von seiner Mutter getrennt? Niemand war in unserer Nähe, sodass wir keine Antworten erwarten konnten. Wir setzten unsere Wanderung fort. Kurz darauf steuerten wir auf eine Art Pilgergedenkstätte zu. Sie entpuppte sich als ein sehr kurioser Schauplatz. Neben zwei normalen Holzbänken waren Gedenktafeln, ein Kreuz sowie ein lebensgroßer Metallpilger, der echte Kleidung trug, aufgestellt. Zum Teil lagen leere Flaschen und auch Müll herum. Daniel und ich posierten jeweils neben dem metallenen Pilger für ein Erinnerungsfoto. Ohne Daniel hätte ich heute kein Foto von mir mit dem unbekannten Metallmenschen.
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