Karriere oder Jakobsweg? Wegezeit - Wendezeit. Mein Weg nach Santiago De Compostela
einen kleinen Engpass habe. Ein Lebenskünstler, wie er im Buch steht. An diesem Abend knüpfte ich neue, aber auch intensivere Bande zu einigen anderen.
Mit Martin und Elvira lauschte ich später noch ein wenig dem Regen, der vor unserem Fenster herunterprasselte. Bisher hatten wir alle sehr viel Glück mit dem Wetter gehabt. Die Sonne war zwar ab und zu hinter Wolken versteckt, aber es war überwiegend trocken geblieben. Würde sich das Wetter in den restlichen 14 Tagen verändern? Ich weiß nicht, warum, aber ich war mir sicher, dass am nächsten Morgen die Sonne wieder scheinen würde. Auf meinem Luxusschlafplatz schlief ich beseelt dem Morgen entgegen.
23. Pilgertag, 14. Juni 2006
Astorga - Rabanal del Camino
Mein Tagesziel war Rabanal del Camino. In früheren Jahrhunderten war dieser kleine Ort die letzte Station vor der Überquerung der Montes de Leon. Hier ruhten sich die Pilger in den zahlreichen Kirchen und Herbergen aus, bevor sie die Berge, gefürchtet wegen der Banditen und Wölfe, zu passieren versuchten. Ausruhen wollte ich mich dort auch, aber Furcht vor Banditen oder Wölfen musste ich sicherlich nicht haben. Ich wollte einfach nicht mehr als die 21 Kilometer gehen, die es bis Rabanal waren; zudem reichte mir der Aufstieg auf die 1162 Höhenmeter am Ende dieser Strecke. Rabanal reizte mich als historischer Platz, an dem bis in das 13. Jahrhundert sogar die Tempelritter vertreten waren. Ein weiterer wichtiger Grund für mein Tagesziel war eine der drei Herbergen, die in meinem Reiseführer beschrieben waren. Die Albergue Gaucelmo gehört zum Bistum Astorga und die englische Saint-James-Bruderschaft verwaltet sie. Der christliche Zusammenhang dabei zog mich an.
Um sieben Uhr war ich in Astorga nach einem ausführlichen Frühstück gestartet, ungewohnt spät. Tatsächlich schien die Sonne an diesem Morgen, auch wenn einige bedrohlich aussehende
Regenwolken immer wieder die Kraft der Sonnenstrahlen unterbrachen. Ich durchlief die Region Maragateria, ein Landstrich mit rund 50 Dörfern und nur 5000 Einwohnern. Mangels wirtschaftlicher Grundlagen waren viele Bewohner in der Vergangenheit ausgewandert. Die Dörfer, die ich sah, gefielen mir sehr.
Der in diesem Landstrich typische, historisch begründete Baustil der massiven, rötlichen Steinhäuser mit den großen Durchgangstoren für Vieh und Gespann hatte etwas Anheimelndes. Alles wirkte sehr naturverbunden. Rote Erde, gelbe steppenartige Felder und kleine Eichenwälder im satten Grün hoben sich farblich voneinander ab. Die Wanderung war abwechslungsreich und der Regen, der dann doch noch für eine halbe Stunde auf mich einprasselte, tat meiner guten Laune keinen Abbruch. Meine Kleidung erwies sich als guter Schutz und der Regen hatte etwas Beruhigendes, wie er so auf mich niederging.
Mein rechtes Bein beeinträchtigte mich auch nicht. Bei meiner Ankunft in Rabanal war es nur minimal angeschwollen. Allerdings verspürte ich jetzt ein Ziehen im linken Bein. Was war nun wieder los? Oder war ich mittlerweile auf meinen Körper und seine Wehwehchen so fixiert, dass ich Flöhe husten hörte?
Es war zwölf und ich saß bereits bei einem cerveza con limón, unserem Radler ähnlich, in der ersten Bar am Ortseingang von Rabanal. Katrin und Maciej hatten mich dort festgehalten. In mir war eine wohlige Zufriedenheit. Wenig später gingen wir gemeinsam den Pilgerweg hoch, der kontinuierlich aufwärts durch den lang gestreckten Ort verlief. Ich suchte die Herberge und die beiden wollten weiter bis Foncebadón, der letzten Übernachtungsmöglichkeit vor dem Cruz de Ferro.
Das Cruz de Ferro markiert den höchsten Punkt zwischen den Pyrenäen und Santiago de Compostela, es steht auf einer Hochebene des Monte Irago. In meinem Wanderführer las ich, dass dieses Eisenkreuz, dessen Original sich im Palacio Episcopal im Museo de los Caminos in Astorga befindet, einer der eindringlichsten Stellen des Jakobsweges sei. Aus einem großen Steinhaufen ragt ein langer, schlanker Eichenpfahl, auf dem das kleine Eisenkreuz befestigt ist. Der Ursprung des Kreuzes liegt im Dunkeln, doch seit Jahrhunderten legen die Pilger einen Stein dort nieder. Das Gebet des Cruz de Ferro lautet: »Herr, möge dieser Stein, Symbol für mein Bemühen auf meiner Pilgerschaft, den ich zu Füßen des Kreuzes des Erlösers niederlege, dereinst, wenn über die Taten meines Lebens gerichtet wird, die Waagschale zugunsten meiner guten Taten senken. Möge es so sein.« Für viele
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